Väter und Eichen

Ein Abend mit dem Fassbinder-Clan im „Hollywood Media Hotel“. Allerdings weiß Rainer Werner Fassbinders Vater Helmut nur wenig über seinen Sohn zu erzählen

Vielleicht ist aus Rainer Werner deshalb ein so großer Künstler geworden, weil er schon im Kindergartenalter bei den heimischen Lyriklesungen der Eltern zuhören durfte. „Ich habe immer von Literatur und Kunst gelebt“, sagt Dr. Helmut Fassbinder. Seinen Sohn haben er und die damalige Ehefrau nach ihrem Lieblingsdichter Rilke benannt. „Das mit der Medizin war nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.“

Der 84-jährige Dr. Helmut Fassbinder ist promovierter Arzt. Hätte er früher gewusst, wie schlimm es um Rainer Werners Drogensucht steht, hätte er ihn in einen Entzug gesteckt, sagt er. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebte Rainer Werner Fassbinder bei seinen Eltern. Dann ging deren Ehe in die Brüche, und der Kontakt brach völlig ab. Als er 16 Jahre alt war, zog er für kurze Zeit wieder zum Vater. Der hatte neben seiner Praxis ein Immobiliengeschäft eröffnet, und der Sohn half dort mit. Ein Immobilienmakler ist aus Rainer Werner dann nicht geworden. Der Laden ging schnell Pleite. Und die Beziehung zwischen Vater und Sohn war wieder unterbrochen.

Helmut Fassbinder ist Ehrengast in Atze Brauners Hollywood Media Hotel am Kurfürstendamm. Dort sollen künftig im hoteleigenen Kinosaal (im einstige Lupe-Kino) allmonatlich unter dem Titel „Menschen im Hotel“ Schauspieler aus ihrem Leben plaudern und Schriftsteller ihre Bücher präsentieren. An diesem ersten Abend geht es um ein Buch des Fassbinder-Schauspielers und Mitarbeiters Harry Baer: „Das Mutterhaus“. Eine Erinnerung an das legendäre urbayrische Lokal in München, das sich durch Fassbinders Clique von einer heruntergekommenen Kneipe zu einem berühmten wie berüchtigten Künstlerlokal mauserte. Fassbinder bezog praktischerweise eine Wohnung gleich gegenüber. Die Kneipe wurde sein Wohnzimmer.

Zur Präsentation des Bändchens voll mit Fotos und Anekdoten versammelt sich ein Teil des einstigen Fassbinder-Clans: Der Zeichner und Schauspieler Jürgen Draeger. Joachim Hansen, der in „Nora. Ein Puppenheim“ spielte und sich später weigerte, einen Sadisten in „Martha“ zu mimen. Brigitte Mira, die mit ihren 92 immer noch keck und rüstig ist. Und die immer wieder gern erzählt, wie sie in Cannes stolz über den roten Teppich schritt und was sie Fassbinder zu verdanken hat, der ihr mit „Angst essen Seele auf“ die allererste Filmhauptrolle ihres Lebens gab: Er habe sie damit zu einer anerkannten, respektierten Schauspielerin gemacht. Mira bleibt die einzige Frau in der Runde. Ingrid Caven wartet derweil am Pariser Flughafen vergeblich auf ihre Maschine nach Berlin: Die Fluglotsen streiken. Und Irm Hermann ließ sich entschuldigen: Christoph Schlingensief hat sie kurzfristig zu einer Regiesitzung beordert.

Dafür kam neben Fassbinders Vater noch weit reichende Verwandtschaft: Neffen, Nichten und sein Cousin Egmont. In der Familie erzählt man sich, Rainer Werner und Egmont hätten in den ersten Monaten die Wiege miteinander geteilt. Zumindest teilen sie ihre Leidenschaft für Männer. Egmont Fassbinder betreibt mit dem Verlag Rosa Winkel Deutschlands ersten Verlag der Nachkriegs-Schwulenbewegung. Hier ist auch Harry Baers Buch erschienen. Warum Rainer Werner Fassbinder schwul wurde, glaubt jener Mann zu wissen, der ihn 1944 im Kriegslazarett Bad Wörishofen gezeugt hat. Der Bombenhagel in den letzten Kriegsmonaten in München war schuld. Eine solche Belastung für eine werdende Mutter, sagt Dr. med. Helmut Fassbinder, ist ein wichtiger Grund.

Als man den Sohn beerdigte – „eine sehr bunte Veranstaltung und nicht nach meinem Geschmack“ –, hatte Helmut Fassbinder gerade ein Bein in Gips. Aber weder Rainers Mutter noch die Lebensgefährtin Juliane Lorenz hätten sich um ihn gekümmert oder ihm die Hand gegeben. Man hätte gerne gewusst, welche Gründe die Familie hatte, den Vater ein Leben lang zu schneiden. Und auch, weshalb der Vater nun erstmals an die Öffentlichkeit tritt, obgleich er letztlich nicht viel über seinen Sohn zu erzählen weiß. „Meine Familie war immer sehr künstlerisch gewesen“, sagt er. Gerade so, als wolle er seinen Anteil an Werk und Ruhm des Rainer Werner reklamieren. Ob er stolz auf den Sohn gewesen sei, wird er gefragt. „Stolz nicht“, antwortet er. „Aber ich habe mich für ihn gefreut, dass er seinen Weg gegangen ist.“ Ob er diesen Weg aber auch gut gefunden hat, lässt er offen. AXEL SCHOCK

Harry Baer: „Das Mutterhaus. Erinnerungen an die Deutsche Eiche“. Edition Fassbinder im Verlag Rosa Winkel, Berlin 2001, 15,90 €