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: HELMUT HÖGE übers Feuilleton als Flankenschutz

Hunde und Verlierer

Zwei Fragen bestimmten das großdeutsche Feuilleton in den letzten Tagen: Ging der Mensch wahrhaftig auf den wilden Wolf zu und machte ihn zum treuen Hund – oder war es genau umgekehrt? Und müssen wir die „Beautiful Loser“, das Scheitern überhaupt, nicht nun ganz anders sehen – nämlich durchaus positiv?

Bei der hierzu gehörigen Beweisführung wird nicht selten die geldlich-glamouröse Popkultur als bloßer Widerschein der allzu optimistisch eingeschätzten Transformationsökonomie und der neuen Aktienmärkte abgestempelt, die folgerichtig mit der stattdessen sich verschärfenden Wirtschaftskrise außer Konjunktur – out – geraten ist. „In“ ist jetzt die (selbst-) kritische Bestandsaufnahme, das mehr oder weniger zerknirschte oder ehrliche Geständnis, wobei den „Pamphleten, Aufrufen und Analysen“ der „Glücklichen Arbeitslosen“ eine gewisse Vorbildfunktion zukommt.

Haste Töne?! Dass so etwas ausgerechnet in unseren Kapitalblättern steht, ist das Alarmierende. Man könnte dabei glatt auf die Idee kommen, hier und jetzt solle der letzte linke Subversionsgedanke aus dem Prenzlauer Berg uns entwendet und von oben zu staatspädagogischen Zwecken missbraucht werden: Indem man den immer unzufriedener werdenden und wirkenden Massen steckt, wie sie auch ohne Aktien, Action und Aussicht auf Arbeit froh und munter sein können: Nehmt euch ein Beispiel an den glücklichen Arbeitslosen, ihr Arschlöcher!

Das Gegenteil vom Scheitern ist der Erfolg. Dieser Erfolg eines Modewortes hat viele Väter: Vorgedacht war er im Ansatz bereits bei Thomas Kapielskis Interviewsammlung „Verlust der Mittel“ (im Neuköllner Karin Kramer Verlag). Der darin gepflegte Begriff des Scheiterns wurde erst in dem donaldistischen Bismarc Media Band „Babelsberg“ aufgegriffen (im Nautilus-Verlag) und dann in meinem Rechenschaftsbericht über die ostdeutsche Betriebsräteinitiative auf den Begriff der „Berliner Ökonomie“ zugespitzt (im Berliner Basisdruck-Verlag, der sich nebenbei bemerkt gerade mit dem Hamburger Nautilus-Verlag vor Gericht über die Rechte an den Texten des einstigen Artisten des Scheiterns, Franz Jung, streiten muss).

Anschließend wurde aus dem Titel „Berliner Ökonomie“ eine taz-Kolumne und eine Kolumne in der Jungen Welt, die zwar „Wirtschaft als das Leben selbst“ heißt, jedoch ebenfalls primär das Scheitern thematisiert. Im Maße die Konkurse epidemisch wurden, entstand außerdem eine „Show des Scheiterns“ im Club der polnischen Versager, ein Schreibwettbewerb „Scheitern 2002“, ein Seminar bei den Ethnologen über „Schöner Scheitern“ und ein Reader übers Scheitern im Ausbildungspool „Creative Village“.

Die FAZ spricht nun salopp von „Losern“ – denen allein die Zukunft gehört, weil nur sie ein „enormes Marktpotential“ haben. Im Spiegel schreibt Henryk M. Broder, der bisher noch jede Diskurswende vor allen anderen gewittert hat – über die zwei glücklichen Arbeitslosen „Paoli und Zoufall“: „Sie wollen keine Vorzeigephilosophen sein und lassen sich auch nicht fotografieren“. Illustriert ist sein Artikel jedoch mit einem großen Farbfoto von den beiden, für das sie sich extra im Lafayette neu eingekleidet und im Lidl mit Ferngläsern ausgerüstet haben. Das hoch kunstvolle Bild schoss die international anerkannte Fotoagentur Ostkreuz. In der Süddeutschen Zeitung wird Judith Mair interviewt, die derzeit sogar noch häufiger „vor der Kamera steht“, weil sie – wie die „Glücklichen Arbeitslosen“ und ebenfalls als Buchautorin – behauptet: „Dass Arbeit Spaß macht, ist noch so eine Lüge.“ Und nachdem der viel interviewte Transformationsphilosoph aus dem Prenzlauer Berg, Wolfgang Engler, die glücklichen Arbeitslosen als Ostdeutsche in toto zur „Avantgarde“ hochjubelte, konnte auch die FAZ-Autorin Amelie von Heydebreck in ihrer Materialsammlung über den „Reiz der Niederlage“ nur zu dem Schluss kommen, „dass der Loser sich in einer Win-Win-Situation befindet“. Der Verlierer kann also nur gewinnen, oder anders ausgedrückt: Der Verlierer ist der Gewinner! Schamloser ist noch kein neoliberaler Coup mit seinen ganzen Lügen und Leichen gerechtfertigt worden. Das bezieht sich aber bei der adligen Autorin erst einmal nur auf all jene (Manager, Banker usw.), die groß herauskommen wollten, aber scheiterten – und dann darüber ein Buch schrieben, das verfilmt wurde und dann auf die Bühne kam.

Spätestens an diesem Punkt trifft sich deren Happy-Loser-Schicksal jedoch mit der anthropologischen Wolf-Hund-Transformationsthese von Nicholas Wade in der New York Times, die wie üblich von den deutschen Journalisten breit aufgegriffen wurde, zumal der Wolf gerade zum „Tier des Jahres“ gekürt wurde. Es geht nämlich genau genommen hier wie dort um die Frage, wie man als Wolf scheitert, d. h. zum Dackel wird, sich dann aber doch berappelt – und also „eine zweite Chance“ (FAZ) bekommt: win-win. Denn nicht die Chancengleichheit ist das Problem, sondern recht eigentlich die Chancenwiederholung: Typisch!