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: CLEMENS NIEDENTHAL über Geschenke und die Wochenpresse

Der „Zeit“-Geist-Konflikt

Wollte man – auf den französischen Philosophen Pierre Bourdieu rekurrierend – den gemeinsamen Kulminationspunkt von kulturellem und ökonomischen Kapital berechnen, das so entstehende Diagramm hätte wahrscheinlich die Form einer Leica-Kamera.

Nicht irgendeiner Leica-Kamera. Nein, eine Leica M 6 würde es sein. Einer jener habituellen Werte, die „Manufaktum“-Kunden für gewöhnlich mit dem Attribut „wertig“ belegen. Ein Fotoapparat, so erhaben wie weißer Trüffel oder das Tweed-Jackett von Christoph Stölzl. Dinge, die neben dem eingebauten Distinktionsfaktor auch einen Auftritt in der Zeit gemeinsam haben.

„Was heißt hier Luxus?“, fragte das dortige „Leben“-Ressort in der vergangenen Woche. Und ließ auf den folgenden Seiten eine wohl temperierte Produktparade folgen, die – unausgesprochen zwar – auch als Anregung für den bald zu füllenden Gabentisch verstanden werden sollte. Von „großen Konsumträumen“ war dabei die Rede. Aber auch davon, wie „schön unerreichbar“ die Gucci-Uhr oder die elektrostatischen Lautsprecher zum Paarpreis von 9.950 Euro doch seien.

Da war er also wieder, der Zeit-Geist-Konflikt. Eine Zeitung, hin und her gerissen zwischen den Lebensentwürfen von Michael Naumann und Gräfin Marion von Dönhoff. Zwischen bourgeoisem Genuss und pietistischer Genügsamkeit. Und wohl auch zwischen tiefer Begeisterung und ironischer Distanzierung. Oder sollte man zwischen den Zeilen gar so etwas wie ein schlechtes Gewissen angesichts solch ungehemmten Konsumträumens herauslesen? Es wäre nicht mehr als der linksliberale Reflex, einen Ledersitz-Saab für den politisch korrekteren Mercedes zu halten.

Im diesjährigen Sommerrätsel zumindest hatte die Zeit eine üppige BMW-Limousine zum Hauptpreis erkoren. Mit tiefer gelegtem Fahrwerk und arg ausladenden Alufelgen. Womit das Blatt wenn schon nicht in der Mitte seiner Leser, so doch seiner Anzeigenkunden angekommen war.

Wem, um auch mit Bourdieu zu schließen, angesichts solch offensiven PS-Geprotzes das kulturelle Kapital abhanden gekommen scheint, dem bleibt, die eingangs erwähnte Leica ins Handschuhfach zu packen. Ist ja bald Weihnachten.