zwischen den rillen
: After the teenrush: J. Timberlake und C. Aguilera

Sinnstiftungsdefizitvermeidung

Es ist traurig, aber wahr: Von all den Acts, die im Musikgeschäft ihre Haut zu Markte tragen, stürzt niemand tiefer als das Teenidol. Schon in den frühen Zwanzigern tickt bei ihm die biologische Uhr. Jahrelang hat das Teenidol sich in der Illusion gewogen, es werde von der Welt geliebt (und was heißt Illusion: abertausende von hingebungsvoll begeisterten Fans belagerten jedes Hotel, warfen Teddybären und Unterwäsche auf die Bühne), und dann stellt sich heraus, dass all das nur Täuschung war, die Fans nur ihren pubertären Hormonschüben Folge leisteten und plötzlich alles nichts mehr zählt.

Es gibt genau ein Teenidol, das diesen Schock überlebt hat und die Energie des Zusammenbruchs seiner Teenidoljahre in noch viel größeren Erfolg und viel höhere Plattenverkäufe umsetzen konnte: Robbie Williams. Doch er ist die Ausnahme. Die Regel sind traurige Gestalten wie Lance Bass von N’SYNC, der sich sogar einer Herzoperation unterzog, um mit einem russischen Shuttle ins All fliegen zu können, um dann die fälligen Millionen nicht zahlen zu können und schmählich aus der Raumfahrerstadt in Kasachstan verbannt zu werden. Alles nur um dem drohenden Sinnstiftungsdefizit zu entgehen, dem einsamen Prozac-Schlucken in den abgedunkelten Sälen großer Villen, dem Schicksal, das dem Teenidol droht, dessen Tage vorüber sind.

Mit seinem fantastischen Album „Justified“ will nun Justin Timberlake, Bandkollege von Bass bei N’SYNC, die zweite große Ausnahme werden. Obwohl sein Rezept denkbar einfach ist – er hat sich mit Timbaland und den Neptunes einfach die augenblicklich besten Produzenten eingekauft und sich von ihnen das gesamte Album auf den Leib schneidern lassen –, ist es doch mutig. Wer neben diesen Produktionen nämlich nicht bestehen kann, der braucht gar nicht erst ans Mikrofon zu treten, hier geht es schließlich nicht um eine Single, sondern um ein ganzes Album. Noch etwas ist mutig: Obwohl wahrscheinlich jeder im Pop mehr oder minder von Michael Jackson beeinflusst ist, hat noch niemand sich so direkt mit dem King Of Pop in eine Reihe gestellt. Doch Timberlake scheint es wirklich wissen zu wollen. Für das Booklet ließ er sich in einer Michael-Jackson-Pose fotografieren: den Hut ins Gesicht gezogen, eine Hand ausgestreckt, die andere im Schritt.

Tatsächlich ist „Justified“ ein Album, wie es Jackson heute machen würde, wäre er Anfang zwanzig und bereit, die Welt zu erobern: gewagt, fett, repetitiv, überdreht, sinnlich. All das, was Künstler während ihrer Zeit als Teenidol immer nur versprechen, aber selten einlösen.

Timberlake scheint seine einzige Schwäche zu kennen, dass er nämlich über eine gute, aber keine außergewöhnliche Stimme verfügt. Doch er begegnet ihr, indem er öfters in einen abgehackten Sprechsingsang verfällt, dessen Charme man sich kaum entziehen kann. Den zahllosen Lobgesängen, die in den letzten Monaten und Jahren auf die Produzenten Timbaland und die Neptunes angestimmt worden sind, gibt es sowieso nichts hinzuzufügen.

Während Justin Timberlake also auf dem Weg vom Teenidol zum generationenübergreifenden Megastar so gut wie alles richtig macht, macht Cristina Aguilera mit „Stripped“ so gut wie alles falsch. Erster Fehler: Sie ließ vier Jahre vergehen, um ihrem Debütalbum ein zweites folgen zu lassen, eine Ewigkeit im Leben eines Teenidols.

Das leitet über zu Fehler Nummer zwei: Wenn schon, denn schon, scheinen sich die Verantwortlichen für „Stripped“ gedacht zu haben. Wenn wir sie noch mal nach draußen schicken, dann richtig, dann soll sie auch Britney Spears ausstechen. Doch so sehr im Videoclip zur aktuellen Single „Dirty“ (in dem Cristina Aguilera in einem schwarzen Lederoutfit erst einen illegalen Frauenboxkampf führt und schließlich durch unterirdische Katakomben tanzt, in denen schwitzende Muskelmänner allen möglichen Tätigkeiten nachgehen) die Schweißperlen rollen, so verrucht das alles daherkommt, es sieht so berechnet aus, wie es wahrscheinlich auch ist. Okay, wir haben hier ein Teenidol, wie kriegen wir das jetzt erwachsen? Wie können wir den angedeuteten SM-Sex aus Britneys „Slave For Your Love“ in den Schatten stellen? Richtigen SM-Sex? Okay, ruft bei Cristina und den Lederwäscheschneidern an, bringen wir’s hinter uns!

Dann tauchte mit Pink allerdings ein neues Teenidol auf, eines, das Britney tatsächlich so brav aussehen ließ, wie sie wahrscheinlich auch ist. Das führte zu Fehler Nummer drei: Pinks Songschreiberin Linda Perry einzukaufen. Zwar langte es nur noch für drei Stücke, doch weil sie etwas besser sind als der Rest, rauben sie der Platte auch noch ihre letzte Eigenschaft: durchgehend miserabel zu sein. TOBIAS RAPP

Justin Timberlake: „Justified“ (Jive/Zomba); Cristina Aguilera: „Stripped“ (RCA/BMG)