Hochschulen in Trivialmaschinen

Die Folienaufleger und Power Pointer werden reüssieren: Die Hochschulen stehen unter Druck. Ranking, Evaluierung und Drittmitteleinwerbung führen zum Verlust der Freiheit der Wissenschaft. Dafür werden Forschungen am Markt orientiert

Wie die Computer dieser Welt sind auch Hochschulen virusanfällig

von PETER FUCHS

Vor langer Zeit hatten Menschen die Idee hegen können, die Hochschulen seien Quellen der Weisheit und des Wissens. Schaut man sich Bilder aus dem Hochmittelalter an, so findet man die Mutter der Weisheit, die Alma Mater, dargestellt wie eine Maria lactans, wie die berühmte, die Menschheit stillende Maria. An den Brüsten der Alma Mater trinken die Magister und Scholaren Erkenntnis. Sie brauchen nicht einmal zu saugen – die Milch der Erkenntnis sprudelt, sie schießt ihnen entgegen. Dass sich daran etwas geändert hat, ist hinlänglich bekannt. Das müsste man nicht einmal beklagen, wenn man noch unterstellen könnte, dass die Hochschulen im Umgang mit sich selbst noch so etwas wie Weisheit, Klugheit, Abgeklärtheit aufbrächten, jene Gelassenheit, die man erwarten dürfte von Leuten, die sich mit schwierigen Gegenständen befassen.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Wie die Computer dieser Welt sind auch Hochschulen virusanfällig. Die Rektor/inn/en, die Rektorate, die Kanzler/innen, die Gremien – sie wirken, als wären sie von einer schweren Krankheit befallen, die mit Panikattacken einhergeht, mit Denkblockaden und mit Anfällen von hektischer Aktivität. Sogar Arroganzverluste stellen sich ein, die dazu führen, dass die Hochschulen in die Knie gehen und vergessen, dass es einst als Kunst galt, im Umgang mit Ministerien und Öffentlichkeit das Proprium der akademischen (unbedingten) Freiheit zu stabilisieren. So kann man von Glück sagen, dass einige der Viren aufspürbar sind, ja sich nicht einmal verborgen haben. Es sind gleichsam brüllende Viren, die zu entdecken es keines Elektronenmikroskopes bedarf.

Einer dieser Viren steht vor seiner Erledigung. Es ist der Leitbildvirus, der dafür sorgte, dass die Hochschulen begannen (und einige tun es noch, wie man hört), sich wie der Supermarkt um die Ecke, die Bank im Stadtzentrum oder der Jugendclub an der Peripherie aprilfrisch zu föhnen. Verkündet wird, welchen Problemen man sich stellt (vorzugsweise ökologischen, weniger ökonomischen Problemen), wie man in eine unbekannt bleibende Zukunft gemeinsam hineinmarschieren will und wie man sich das „Gemeinsame“ vorstellen soll und muss. Das läuft letztlich auf die raunende Beschwörung eines „Wir alle“ hinaus, also auch auf die Ermittlung derer, die sich dem Leitbild nicht fügen und Chancen der Individualität in der Abweichung suchen, wo sie – wie man wissen könnte, aber nicht zugeben darf – überhaupt nur gesucht und gefunden werden.

Ein zweiter Virus trägt den Namen „Ranking“. Er ist gespenstisch, er erzeugt Angst vor einem Spuk, der durch Ranglisten erzeugt wird – alle Jahre wieder. Es ist ein Zittern in der Welt, wenn Publikationen dieser Ranglisten bevorstehen. Und wenn man sich am unteren Ende der Skala wiederfindet, scheint es, als wäre Vernichtendes geschehen. Ein erster kühler Blick würde schnell zeigen, dass diese Ranglisten auf Kriterien basieren, die die Hochschulen als Trivialmaschinen auffassen, als Durchlauferhitzer, die auf bestimmte Inputs bestimmte Outputs produzieren, dies aber in einer der Kundschaft (fast könnte man sagen: der Klientel) hoch angenehmen Weise und ohne akademischen Zeitverzug.

Ein zweiter kühler Blick würde feststellen, dass die Hochschulen sich selbst beobachten anhand massenmedialer Artefakte. Sie beobachten nicht sich selbst, sondern das, was Massenmedien als Beobachtung der Hochschule vorführen. Sie gewinnen ein Bild ihrer selbst anhand von Massenmedien, die Massenbedürfnisse befriedigen. Die Panik stellt sich nicht ein, weil die Hochschulen selbst Probleme haben (zum Beispiel das des progressiven Ressourcenentzuges), sondern weil sie ihnen angesonnen werden – als Ranking. Die Angst gilt dem Vergleich, sie ist eifersuchtsähnlich. Ein dritter, eher verwunderter Blick richtet sich auf den Umstand, dass die Hochschulen kaum zurückschlagen, dass sie ihre intellektuellen Mittel, ihre intellektuelle Definitionsmacht nicht einsetzen, um unterkomplexe Vergleichsmaßstäbe als unterkomplex zu entlarven. Lieber gehen sie (wie das deutsche Erziehungssystem angesichts der Pisa-Studien) in Sack und Asche – als wäre dies nötig, wenn man auf das achtet, was die Rankings eigentlich messen.

Der dritte und ein überaus mächtiger Virus ist das, was „Evaluation“ genannt wird. Bewertungsexpert/inn/en nehmen an den Hochschulen mittlerweile Arbeitsplätze ein. Studiendekane und Studiendekaninnen sind zu befürchten, die im Rahmen der Fachbereiche eine überaus zwielichtige Rolle spielen werden, da ihnen vor allem die Evaluation obliegt, womit dann eine eigentümliche, ja fast denunziatorische Macht verknüpft ist, zugleich aber die Möglichkeit eines unwürdigen Intrigenspiels.

Aber entscheidend ist, dass Evaluation wiederum nichts weiter ist als der Versuch, die Hochschulen in Trivialmaschinen zu verwandeln, denn Bewertung funktioniert nur, wenn es Maßstäbe gibt, an denen man sich messen lassen muss, die also erfüllbar oder nicht erfüllbar sind. Die Alma Mater wird auf diese Weise ins Stromlinienförmige getrieben, und es ist ein beinahe wehmütiger Gedanke, dass die sozialen Exoten, die intellektuellen Ausnahmeerscheinungen ins akademische Abseits geraten, wohingegen die Folienaufleger und die Seelen-der-Student/inn/en-Berücksichtiger reüssieren würden. Selbst Niklas Luhmann würde bedauern, dass hier ein Stück Alteuropa zugrunde geht. Aber auch dann, wenn es darauf nicht ankommen würde, beschämend ist allemal der vorauseilende Gehorsam, der zu beobachten ist, und die mangelnde Lust an der Abwehr dieser Zumutungen. Hochschulgesetze, die all dies mittlerweile einführen und regeln, sind kein Grund, sich zu widersetzen, eher ein Grund, den aufrechten Gang zu erproben, den – lang ist’s her – die sieben Aufrechten zu Göttingen vorführten.

Ein vierter Virus (nicht der letzte überhaupt) kann nur noch angedeutet werden. Er löst die Drittmittelhysterie aus, die alle technischen und naturwissenschaftlichen Studiengänge begünstigt. Dahinter steckt ein übler gesellschaftlicher Trend, der das, was man die hart erkämpfte Freiheit von Forschung und Lehre genannt hat, im Kern sabotiert. Die Forschungen werden am Markt orientiert, an Abnahme- und Zahlungsbereitschaften. Schon greift das Symptom der Scham derer um sich, deren Forschungsergebnisse und Publikationen sich nicht in eingeworbenen Drittmitteln ausdrücken lassen, und nicht nur Scham – schlimmer noch: die begründete Sorge von Besoldungsverminderungen. Genau das, wodurch die Universitäten des Abendlandes ihre beispiellose Karriere beginnen konnten, nämlich durch garantierte Unabhängigkeit, ist heute offensichtlich in Gefahr.

Einst wanderten die Scholaren auf gefahrvollen Wegen durch ganz Europa, um ebendiese Unabhängigkeit zu finden. Manche Neugründungen von Universitäten sind diesen Wanderungen, diesen Suchen (die oft Fluchten waren vor Abhängigkeiten) zu verdanken. Nun begibt man sich freiwillig, gehorsam, ja beinahe demütig in diese Abhängigkeiten hinein. Gebrütet wird über Leitbildern (als wäre dies wirklich eine auch nur annäherungsweise anspruchsvolle intellektuelle Aufgabe); man erwartet zaghaft das Donnergrollen der Rankings (als wären Verlautbarungen von Massenmedien die Dekaloge unserer Zeit); man evaluiert auf Teufel komm raus und sieht nicht, dass er wirklich aus dem Kasten springen könnte; um Drittmittel wird getanzt wie um das Goldene Kalb, und es ist zu erwarten, dass demnächst Leuchtschriften um die Gebäude der Hochschulen laufen, auf denen verzeichnet wird, wer wann wo und wodurch solche Mittel eingeworben hat. Immerhin wäre es Drittmittel in beliebiger Höhe wert, fände sich jemand, der ein Virenschutzprogramm für Hochschulen entwickelte.