Geschwenkte Kameras zeigen die Wahrheit

Als der Glaube an das aufklärerische Potenzial des Mediums Film noch unerschütterlich war: Die Hamburger Tagung „Re-educate Germany by film! Wie werde ich Demokrat“ widmete sich der Umerziehung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Kino trauten die Alliierten dabei beinahe alles zu

von MADELEINE BERNSTORFF

Auch eine amerikanisch geprägte und obskur antikommunistische Sekte namens „Moralische Aufrüstung“ machte mit. Mit Liedzeilen wie „Ist es nicht traurig und ungerecht, ich bin so gut und die Welt ist so schlecht“ sprach sie am liebsten die politischen Eliten und die „kommunistisch gefährdeten“ Arbeiter an. Sie legte nahe, dass sich die „Opfer für ihren Hass auf die Täter entschuldigen sollten“, und hatte wohl auch deshalb so viele Anhänger.

Die Werbefilme, die solche Ideen verbreiteten, waren nun auf der Hamburger Tagung „Re-educate Germany by film! Wie werde ich Demokrat“ zu sehen; aber es gab auch debattenwürdigere Beispiele einer versuchten Umerziehung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Medium Film.

Filme über Flüchtlinge aus der sowjetischen Zone wurden vorgeführt und diskutiert und Filme, die nach der Information über die Gräueltaten der Nazis nun auch zeigen sollten, wie (amerikanische) Demokratie und Kapitalismus funktionierten: Ein unbeholfen ins Deutsche synchronisierter Lehrfilm „Die Frau als Fabrikarbeiterin“ von 1944 zeigt, wie man mit Arbeiterinnen in der Industrie produktiv umzugehen hat – sie würden „Fachausdrücke nicht so gut begreifen“, so wird dort behauptet, hätten aber viel mehr „Feingefühl und Fingerfertigkeit“. Mit besserer Arbeitseinteilung könne man aber auch Frauen zu Höchstleitungen bringen. Dass viele dieser guten Ratschläge nicht so richtig gut ankamen im zerbombten Deutschland, versteht sich: Millionen Menschen lebten in Trümmern; verschleppte Kriegsgefangene, überlebende Lagerhäftlinge, Ausgebombte und Flüchtlinge suchten nach Nahrung, Angehörigen und Perspektiven.

Andere Filme stellten sich zumindest vom Anspruch her dieser Situation. „Die Todesmühlen“ (1945) sollte von den Gräueln der Nazizeit künden, in einer Zeit, als Schock und Fassungslosigkeit über die Entdeckungen in den befreiten KZs noch sehr unmittelbar waren und antikommunistische Agitation noch keine Priorität hatte. Es gab für alliierte Kameramänner die Anweisung der Militärregierung, beim Filmen der befreiten Konzentrationslager darauf zu achten, dass immer auch die Umgebung zu sehen ist. Empfohlen wurde, viel zu schwenken, damit auf keinen Fall gesagt werden könne, die Aufnahmen seien gefälscht.

Hanus Burger, der den Film realisiert hat, schreibt in seiner Autobiografie: „Warum nehmen sie jemanden wie mich? Weil es kein anderer machen würde … Aber der vorzeitige Antifaschist Burger, soll der sich doch mit den Schreibtischgeneralen aller vier Verbündeten rumschlagen … Vielleicht war es irgendwo da oben doch ernst gemeint mit der Entnazifizierung?“ Die Kompilation ist – überhäuft mit Kommentar und Musik – infolge vieler Einsprüche der Auftraggeber bis hin zu der Oberaufsicht von Billy Wilder ganz anders geworden, als Hanus Burger sie sich vorgestellt hatte. Inzwischen ist von dem damals mit 114 Kopien gestarteten 22-minütigen Film auch eine jiddische Sprachfassung aufgetaucht: „Di Toit Milen“. Wo, wie und ob diese jiddische Fassung aus der Perspektive der „Angehörigen der Opfergesellschaft“ (Ronny Loewy) gezeigt wurde, bedarf allerdings noch der Klärung.

Zu den erstaunlichsten und bestürzendsten Dokumenten der Tagung gehört der im Rahmen der actualités français produzierte „Les Camps de la Mort“ (1945). Dieser moyen métrage, der nur sporadisch in der immer noch wenig erschlossenen Literatur zur französischen Besatzungspolitik auftaucht, wurde bereits am 18. Mai 1945 in Auftrag gegeben und wahrscheinlich schon vor September 1945 fertig gestellt. Er besteht aus dem Material, das Kameraleute der englischen und französischen Alliierten von der Befreiung verschiedener Konzentrationslager gedreht hatten.

Der Film unterscheidet sich wesentlich von „Die Todesmühlen“. Keine Musik, lange Einstellungen, ausführliche Pausen im Kommentar; von nackten Leichen sind kaum Bilder zu sehen. Das erst viel später etablierte Wort von den „Überlebenden“ scheint hier bereits aus der Haltung des Films zu sprechen: Die Opfer sind bisweilen schon als Individuen, als Personen ernst genommen, sie werden nicht nur zu Beweismitteln funktionalisiert, die den Schrecken illustrieren sollen. So erzählen Überlebende aus Bergen-Belsen, wie sie einem Massaker entkamen – der Kommentar fasst ihre Erzählungen zusammen.

Das Vertrauen in die aufklärerischen, warnenden, didaktischen und werbenden Potenziale des Mediums Film muss damals stark und unerschütterlich gewesen sein.