Eine Brücke zur Wunschwelt

Wo die Häuser eng beieinander stehen und die Nachbarn über Gartenzäune hinweg streiten, siedelt die niederländische Regisseurin Eugenie Jansen ihren Spielfilm „Zwischenland“ an. Ein alter Kriegsveteran und ein junger Bürgerkriegsflüchtling haben darin mehr gemeinsam, als sie vermuten

von CLAUDIA LENSSEN

Eugenie Jansens „Zwischenland“ ist einer von den Filmen, die auf das disparate Alltägliche schauen, beharrlich, voller Zuneigung, bis dessen utopische Kraft an die Oberfläche dringt. Eine Art Märchen aus einer holländischen Reihenhaussiedlung.

Das Zwischenland ist ein typischer Ortsrand, wo die Häuschen eng beieinander stehen und die Nachbarn sich über die Zäune der Gartengrundstücke hinweg streiten. Dahinter beginnt die eingezäunte Landschaft der Kuhweiden, und irgendwo im Abseits liegt das Dorf der Asylbewerber. Die Filmemacherin nimmt sich Zeit, beiläufig und unaufdringlich von der Einsamkeit zweier Menschen in diesen parallel existierenden Welten zu erzählen. Einsamkeit ist Sprachlosigkeit, aber nicht Leere. Die Geräusche werden, wenn man so genau hinhört wie dieser Film, zum vitalen Ausdruck und zur Brücke in die verschüttete Wunschwelt der beiden ungleichen Hauptfiguren. Wenn sich Majok (John Kon Kelei), der schlaksige schwarze Junge, an den Hals einer Kuh schmiegt und lauscht, wie sie schnaubt und kaut, blendet der Film ins sudanesische Dorf zurück, wo er als Kind mit dem Großvater und dessen Vieh aufwuchs – die Geschichte der Flucht und sein Heimweh teilen sich mit. Wenn Anton (Jan Munter), der alte Reihenhausbewohner, mit dem Gehstock und dem bitteren Zug im zerklüfteten Gesicht, seine Haushaltsdinge zittrig besorgt, rasselt die von Zigaretten gegerbte Lunge. Schnaubgeräusche entfahren ihr, die eher von der lauernden Wut und Frustration des alten Mannes zeugen als von Schwäche.

Der Alte pflückt Dahlien, macht sich fein und bringt sie zum Grab seiner Frau. Er fängt Streit an, ausgerechnet mit seinem besten Freund, in dessen Haus er immer den „fahrbaren Mittagstisch“ bekommt, mäkelig mit dem Plastikset hantierend. Das Bingospielen in einem Altenclub, der Austausch von Blicken mit einer munteren Witwe, die biestige Debatte unter den Freunden, ob Jakob aus seiner Trauer herauskommen und mit der Witwe tanzen gehen sollte – Eugenie Jansen gelingen Milieuschilderungen, die aus lauter Beiläufigkeiten Atmosphäre entstehen lassen und den heftigen Gefühlen der Alten Raum geben.

Der Junge ist mit dem Rucksack unterwegs, macht singend ein Feuer aus holländischem Kuhdung, verliert immer mehr den Kontakt zu seinen auf Anpassung im neuen Land orientierten schwarzen Mitbewohnern im Containerdorf. Nicht die Anklage falscher Immigrationspolitik ist Eugenie Jansens Thema, sondern die Krankheit Heimweh.

Zwei, die ihr früheres Leben als Gewicht mitschleppen, haben vielleicht mehr miteinander gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Auf dieser Beobachtung baut der Film sein Spiel mit Vorurteilen und Grenzziehungen auf. Solange Majok Johns Gartenbank zum Schlafen benutzt, verjagt ihn der Alte. Aber als die assimilierten indonesischen Nachbarn den schwarzen Tramp beschimpfen, bringt er ihm Tee, bahnt Kontakt zu ihm an. In dem Zwischenland, in dem der alte holländische Veteran und der junge Afrikaflüchtling zueinander finden, kehrt der Junge wie im Traum „zum Großvater zurück“. Die Trennung von Alt und Jung, die Europa vorlebt, ist probeweise aufgehoben. Afrika nimmt Europa nichts, es gibt etwas.

„Zwischenland“. Regie: EugenieJansen. Mit John Kon Kelei, Jan Munteru. a., Niederlande 2001, 84 Min.