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: Im Museum des Was-wäre-wenn

Sozialismus-Finissage

Man muss nur 40 Kilometer von Wien aus donauabwärts aufs linke Ufer wechseln. In Bratislava, dem alten Pressburg, kann man erleben, was aus der Post-DDR hätte werden können, wären die alten Kader geblieben, die Wende zu vollstrecken. Wenn die Wessis im Westen geblieben wären. Wenn für Ostalgie heute kein Bedarf wäre. Die Slowakei ist heute ein lebendiges Museum des Was-wäre-wenn: eine Sozialismus-Finissage ohne Personalwechsel.

Nehmen wir das Internationale Filmfestival Bratislava. Es ist vor ein paar Tagen zu Ende gegangen. „Es ist das vierte Mal, wir sind ein junges Festival“, haben die Veranstalter erklärt. Warum? Es stimmt nicht. Das Festival gab es längst. Aber es stimmt wiederum doch, denn das Festival hat sich von der Bindung an die Hochschulen gelöst; es ist aus der Altstadt weg vor die Tore der Stadt gezogen, in die Neustadt, in ein riesiges Einkaufszentrum. Die Passagen heißen dort Regent St., Wall St., Broadway. Die acht Säle der Ster Cinemas, dieses globalen Unternehmens, gehen im Konsumparadies unter. Am ersten Adventssonntag waren die Parkhäuser überfüllt, vor den 30 Kassen des Technikhauses standen je 30 Meter lange Schlangen.

„Wir bringen hierher Kultur, einmal im Jahr“, erklärte der (Ex-)Kulturminister. Und es wird expandiert. In der Plattenbaustadt auf dem rechten Donauufer gibt es gleich 15 Cineplexsäle. Das nächstes Jahr! Zusätzlich! Schon jetzt wächst auf der grünen Wiese um das Polus-Zentrum, auch dies ein globaler Ableger, ein Hochhaus nach dem anderen. Und auf der Leinwand fahren sympathische Mafiakiller, die auf Russisch schlicht „Banditen“ heißen, passende rabenschwarze Mercedeslimousinen des neuesten Modells. – Ja, alles neu und jung! Auf dem neuen, jungen Festival.

Die Goethe-Zentrale in München hat ins Filmfestival eine passende deutsche Reihe reingedrückt. Das ist festivalpolitisch in Ordnung, kulturpolitisch möglicherweise auch. Aber aufgepasst! Eine slowakische Wochenzeitung führt in ihrer englischen Ausgabe (The Slovak Spectator) gerade eine Kampagne gegen die finanzielle Einflussnahme der deutschen Außenpolitik auf slowakische (Partei-)Politiker. Deutsches Geld bringt die slowakische Identität in Gefahr, jedenfalls dann, wenn es von den Parteienstiftungen von CDU, CSU und SPD kommt, keine besser als die andere. Auf Seite 1 der Zeitschrift liest sich das so, als ob das Auswärtige Amt sich aller Stiftungen zusammen bedient („a tool of German foreign policy“), um die slowakischen Parteien zu bestechen und zu korrumpieren.

Diese Vorwürfe („German money involved in Slovak politics“, ist der Seite-1-Artikel überschrieben) bringen populistisch Gewinn. Die Mercedesse im Polus-Center sind also nicht nur banditendeterminiert, sondern reale politisch-kulturelle Bedrohung. Ein angstbesetzter Kitzel. Die Populisten sind in der Parteienlandschaft gut vertreten. Der Rechtspopulist Vladimír Mečiar bringt es auf 19,5 Prozent.

Das, was neu und jung ist, ist attraktiv. Wenigstens für die neue Generation. Es ist aber reale Bedrohung für die, die ihren Platz in der Administration verteidigen. Das PEN-Zentrum in Bratislava wird von 115 Leuten verwaltet. Es sind zum großen Teil die, die das auch schon vor 1989 getan haben. Wie in den anderen kulturellen Institutionen der Slowakei. – Das erste Gesetz der Bürokratie ist die Selbsterhaltung.

Die projektbezogene Zusammenarbeit von Kultureinrichtungen, wie sie von deutschen Gruppen und Instituten im Ausland favorisiert wird, hat hohe bürokratische Schwellen zu überwinden. Der Weg geht über die Instanzen hinauf und herunter. Sollte so etwas Deutsches wie „Jazz in der Kirche“ organisiert werden, muss der Außenminister bemüht werden. Spricht dieser, der Kampagne des Slovak Spectator zum Trotz, ein Machtwort, findet sich dann doch eine Kirche, und die artikuliert als Erstes ihr eigenes Interesse: 500 Euro Vorkasse. Dann kann man weiter sehen. Und das ist gut so: Es muss restauriert werden.

Übrigens ist es nicht das Goethe-Institut Bratislava, das lamentiert. Es hat keinen Grund dazu. Es ist selbst reichlich besetzt mit Kultursachbearbeitern aus der Zeit, da es eine DDR-Einrichtung war. Gerade wird eine 23-jährige Betriebszugehörigkeit gefeiert. Man kennt sich. DIETRICH KUHLBRODT