Kurzzeit-Zeitung

Nach gerade einmal einem Monat droht der neuen dänischen Tageszeitung „Dagen“ schon wieder das Aus. Das redaktionell ambitionierte Blatt scheitert an der Zeitungskrise und dem eigenen Verlag

aus Kopenhagen REINHARD WOLFF

„Eine Zeitung für Leute, die lesen können, von Leuten, die schreiben können“ – mit diesem Slogan erschien Mitte November in Dänemark die erste neue Tageszeitung seit fast 60 Jahren. Nur mit dem Rechnen haperte es offenbar: Nach gerade mal 40 Ausgaben zog der Dagen (Der Tag) vergangene Woche vor das Konkursgericht. Bis zum heutigen Freitag muss das Blatte neue Geldgeber finden. Doch die Chancen stehen schlecht.

Denn die Kassen sind so leer, dass nicht einmal mehr die Kneipe um die Ecke, die der Dagen-Belegschaft das Mittagessen lieferte, ihre angesammelten Schulden von umgerechnet knapp 15.000 Euro bezahlt bekam.

Für die 75 Angestellten, die zum Teil mit großen Versprechungen angelockt wurden, kommt das Aus mitten in der Startphase völlig überraschend. Ein Journalist, berichtet das Konkurrenzblatt Berlingske Tidende, sei bei Bekanntgabe der schlechten Nachricht nur mit Mühe von seinen KollegInnen davon abgehalten worden, den Finanzchef schlicht und einfach zu verprügeln. Diese Szene sage alles über den Dagen, schreibt Berlingske Tidende: Auf der einen Seite der energische innovative Journalismus, auf der anderen die „smarte, verschwenderische und überhebliche Attitüde der Verlagsverantwortlichen“.

Neue Inhalte

Alles anders machen, ein Wirbelwind im gemächlich vor sich hin schlummernden dänischen Blätterwald wollte Dagen sein. Ein modernes Layout, neue grafische und inhaltliche Ansätze sollten auf täglich 32 Seiten im taz-Format das Blatt profilieren.

Zwar kamen die ersten Nummern zu sehr wie eine Wochenzeitung daher, tagesaktuell waren allenfalls die Kurzmeldungen und Börsenkurse. Doch nach und nach ließ sich erahnen, dass hier ein neues, lesenswertes Produkt entstand, auch wenn zu viele der Berichterstattungslücken durch Übernahmen aus internationalen Titeln wie dem Independent, dem Wall Street Journal oder der International Herald Tribune gestopft wurden.

„Es gibt eine große Gruppe gut ausgebildeter Menschen, die politisch und kulturell interessiert sind und die heute nichts haben, was sie als ‚meine Zeitung‘ bezeichnen können“, hatte Dagen-Chefredakteur Kresten Schultz Jørgensen zum Start die Zielgruppe seines Blattes umrissen: „Viele haben aufgehört, Zeitung zu lesen, weil sie die selbstzufriedenen Debatten in Dänemark, die nicht über den eigenen Tellerrand hinausschauen, leid sind.“ – Keine dumme Idee, und tatsächlich scheitert Dagen wohl kaum am Lesermangel.

Mit 12.000 Abonnenten – im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung entspräche das in Deutschland einer Auflage von 190.000 Exemplaren – war man auch gar nicht weit von den im Businessplan veranschlagten 16.000 Abos bis Jahresende entfernt. Auch die LeserInnen lagen mit einem Durchschnittsalter von 30 bis 45 Jahren in einem der Werbeindustrie genehmen Bereich. Nur waren sie offenbar nicht solvent genug: Dagen fiel mit ganzseitigen Farbanzeigen von Edelmarken wie Rolex, Gucci, Armani, Designermöbeln und Autos der Porscheklasse aus dem für Tageszeitungen üblichen Reklamerahmen. Den AnzeigenkundInnen versprach man ganz unbescheiden eine Leserschaft mit durchschnittlichem Jahreseinkommen von über 75.000 Euro.

Dass man hiervon nicht leben konnte und der restliche Anzeigenmarkt kaum darauf wartete, sich in noch einem weiteren Objekt zu engagieren, verwundert nicht. Denn die aktuelle Zeitungskrise in Dänemark unterscheidet sich von der in Deutschland allenfalls darin, dass sie – noch dramatischer ist. So schmieden zwei der drei großen landesweiten Tageszeitungen, die liberale Politiken und die erzkonservative Jyllands-Posten, derzeit Fusionspläne. Rund 20 Prozent hat die dänische Tagespresse in den letzten drei Jahren an Auflage verloren, der Schwund bei den Boulevardtiteln liegt noch höher. Die Anzeigenerlöse sind nochmal um 25 bis 30 Prozent im Vergleich zum – bereits schlechten – Vorjahresergebnis gesunken. Bei allen großen Zeitungen wurden JournalistInnen entlassen, am massivsten hat es das FAZ-Pendant Berlingske Tidende getroffen.

Schadenfreude

Jetzt scheint die krisengebeutelte Branche zumindest insoweit aufatmen zu können, als nicht noch ein weiterer Titel um den eingeschrumpften Werbekuchen konkuriert, eine gewisse Schadenfreude in der Berichterstattung ist unübersehbar. Genüsslich wird Dagen da als dänische Möchtegern-Le Monde bezeichnet, die über die Bezahlung des offenbar zu üppigen Mittagessens stolperte.

Tatsächlich hatte dieses Stolpern wohl schon vor Erscheinen der ersten Nummer begonnen: Kapital in Höhe von angeblich rund 14 Millionen Euro stehe Dagen zur Verfügung, hieß es zum Zeitungstart die aber, tatsächlich war jetzt nach gerade einmal 3 Millionen ausgegebenen Euro die Kasse leer. Die Ankündigung, dass das Blatt erst in zwei Jahre schwarze Zahlen schreiben müsse – an sich schon ein ehrgeiziges Ziel –, war also sofort Makulatur. Dafür leistete sich Dagen aber einen hohen Werbeetat und Luxusausstattungen für Redaktion und Verlag. Toger Seidenfaden, Chefredakteur beim Konkurrent Politiken, spart nicht mit starken Worten: „Unseriös, unmoralisch und verlogen“ nennt er Dagen-Initiator Peter Linck, der aus der Hochglanzillustrierten-Branche kam. Es sei „deprimierend zu sehen, wie faul das ganze Projekt von Anfang an war“. Die Chance, eine neue seriöse Zeitung in Dänemark zu gründen, dürfte jetzt auf lange Zeit vorbei sein, befürchtet Seidenfaden.

„Wir haben unsere Arbeit gemacht“, sagt dagegen ein Dagen-Journalist, der anonym bleiben will: „Wir haben genau die Leser herangeschafft, die wir heranschaffen sollten. Andere haben ihren Job nicht gemacht.“ Und auch Chefredakteur Schultz Jørgensen fordert, so es denn überhaupt weitergeht, eine neue Geschäftsführung: „Mit der alten mache ich nicht weiter. Das bin ich meiner Glaubwürdigkeit schuldig.“