Niere gegen Cash?

In München fordern Transplantationsmediziner aus aller Welt finanzielle Belohnungen für Organspenden. Mit Geld sollen potenzielle Spender geködert werden. Schon jetzt gibt es in vielen Ländern einen regen kommerziellen Handel mit Organen

Fast alle waren durch Überschuldung in den Nierenverkauf getrieben worden

aus München INGRID SCHNEIDER

Die Nachricht schlug sofort hohe Wellen: Unter Cheftransplanteur Christoph Broelsch sollen mutmaßlich sieben israelische Patienten in der Essener Uniklinik eine gekaufte Niere verpflanzt bekommen haben. In einer Zeit-Reportage werden Hinweise dafür geliefert, dass die Organgeschäfte über einen israelischen Broker abgewickelt wurden. Broelsch streitet ab, von einem Kauf gewusst und selbst Geld erhalten zu haben.

Damit waren die in München versammelten Wissenschaftler mitten im Hauptthema ihres internationalen Kongresses über „Ethik in der Organtransplantation“: der Entlohnung von Organspendern. Sie soll die Kluft zwischen Organangebot und Bedarf schließen. Dabei will man „staatlich kontrollierte finanzielle Anreize“ fein säuberlich vom „privaten Organhandel“ getrennt wissen. Die Tagung, die bis Freitag dauern wird, knüpft an eine Debatte an, wie sie in München – ebenfalls unter dem Vorsitz des Transplantationsmediziners Walter Land – bereits 1990 geführt wurde. Die Referentenauswahl war nicht dazu angetan, einen kritischen Diskurs zu befördern: geladen waren nahezu ausschließlich Befürworter einer ökonomischen Entschädigung für Organe.

Vorgeschlagen wurden Steuererleichterungen und Rabatte auf Krankenversicherungsbeiträge, damit Menschen zu Lebzeiten ihr Einverständnis erklären, ihre Organe im Falle des Eintritts des Hirntods abzugeben.

In den USA setzt sich die Transplantationsgesellschaft für ein Pilotprojekt ein: Bei Organspendern sollen die Bestattungskosten übernommen werden. US-Juristen halten jedoch dafür eine Änderung des Gesetzes, das jede Kommerzialisierung verbietet, für unumgänglich.

Die Debatte konzentriert sich indessen auf die Entlohnung der Lebendspende. Im Iran gibt es bereits ein offizielles, staatlich gefördertes Kompensationsmodell für Lebendspender, wie der Chirurg Iradj Fazei berichtete. In den vergangenen acht Jahren wurden dort 13.000 Nierenspender operiert, die meisten erhielten 2.000 Dollar, das entspricht im Iran einem Jahresgehalt. Dank Chancengleichheit bei der Organverteilung könnten sich nicht nur die Reichen eine gekaufte Niere leisten.

In Israel erstatten die Kassen mittlerweile Kosten für gekaufte Nieren, so der Nephrologe Michael Friedländer, der in Jerusalem bereits mehr als 400 Patienten betreut hat, die sich im Ausland gegen Cash eine neue Niere einpflanzen ließen. Der Organtourismus nach Irak, Türkei, USA oder Osteuropa wird meist über israelische Broker vermittelt.

Friedländer plädiert dafür, statt einer Vogel-Strauß-Politik diesen Realitäten ins Auge zu sehen, das Organhandelsverbot durch eine staatliche Reglementierung zu ersetzen und Zwischenhändler auszuschalten.

Die britische Philosophin Janet Radcliffe-Richards stilisiert den Organhandel gar zu einer Form von Entwicklungshilfe. Außer Abscheu und Ekel gäbe es keine stichhaltigen Argumente gegen den Organhandel. Es sei aber zynisch, armen Menschen diese Chance eines Gelderwerbs vorzuenthalten.

Dass der Organverkauf jedoch keineswegs zu einer nachhaltigen Lebensverbesserung für die Verkäufer führt, wurde im Fachblatt JAMA unlängst eindrucksvoll mit einer Studie an 305 indischen Nierenverkäufern belegt, die sechs Jahre nach der Operation befragt wurden. 71 Prozent waren Frauen, teilweise wurden sie vom Ehemann zur Veräußerung gedrängt. Fast alle waren durch Überschuldung der Familie in den Verkauf getrieben worden. Durchschnittlich erhielt jede/r 1.070 Dollar für ihr Organ. Drei Viertel der Befragten blieben weiterhin verschuldet. 86 Prozent berichteten von einem verschlechterten Gesundheitszustand nach der Nierenentnahme. Die meisten (79 Prozent) raten vom Verkauf einer Niere ab.

Der Basler Chirurg Gilbert Thiel empört sich über diese niedrige Entlohnung und schlägt für Verkäufer 50.000 Dollar in Raten vor, mit jährlichem Gesundheitscheck vor der Auszahlung. Der Finne Pekka Haeyry führt dagegen die Konsequenzen eines offenen Marktes vor Augen: Angesichts von zwei Milliarden Erdenbürgern, die weniger als zwei Dollar täglich zur Verfügung hätten, könne der Käufer jeden Preis festlegen. Ein regulierter Organmarkt sei auf globaler Ebene unmöglich. Wenn Arme gegen Geld zur Organbank erklärt würden, „enden wir im Neokolonialismus“.

Ethische Akzeptanz für den Nierenverkauf wollen Bioethiker vor allem mit dem Verweis auf die Selbstbestimmung herstellen. Es reiche aus, wenn man die Nierenverkäufer zuvor ausreichend über die medizinischen und psychischen Risiken aufgeklärt habe. „Wir hatten 2.400 Jahre den hippokratischen Eid, heute haben wir die Autonomie des Patienten“, sagt Kongresspräsident Walter Land.

Francis Delmonico, Chirurg an der Harvard University in Massachusetts, USA, beharrt hingegen darauf, man müsse der moralischen Intuition trauen, dass der Körper nicht zur freien Verfügung steht und nicht als Substanz kommerzialisierbar ist. Wenn Mediziner sich gegen einen „ärztlichen Paternalismus“ aussprechen, verweigerten sie damit auch ihre Verantwortung und den Schutzauftrag gegenüber ihren Patienten. Welches Vertrauen sollten Patienten noch in einen Arzt haben, der ein finanzielles Interesse an der Organentnahme hat? Man bemühe sich zu wenig darum, den Spenderpool von Hirntoten auszuschöpfen, die Koordination zu verbessern und andere medizinische Alternativen weiterzuentwickeln, beklagt der Bad Oeynhausener Herzchirurg Uwe Schulz. Es bestehe aber die Gefahr, dass die freiwillige Spende zurückgeht, wenn ökonomische Anreize geduldet würden.

Morgen will die Deutsche Akademie für Transplantationsmedizin im Anschluss über „Ethik und Organtransplantation im Spiegel globaler Entwicklungstendenzen“ konferieren. Ursprünglich sollten dabei wohl – mit internationalem Rückenwind – zaudernde Kollegen vom Segen finanzieller Spendevergütungen überzeugt werden. Die Vorwürfe gegen Broelsch würden allerdings genug Stoff liefern, dass sich die Transplanteure zuallererst mit ihrem Berufsethos und der Regulierung in der eigenen Zunft beschäftigen.

Die Autorin ist Politologin an der Uni Hamburg. Sie war Mitglied in der Bundestags-Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Zur aktuellen Debatte erschien von ihr: „Ein Markt für Organe? Die Debatte um ökonomische Anreize zur Organspende“ in: „Organtransplantation, Organgewinnung und -verteilung. Perspektiven“, hg. von F. S. Oduncu u. a., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002