„Den Stress von der Seele reden“

Der Frankfurter Rapper D-Flame erzählt auf seinem neusten Album seine Lebensgeschichte als Afrodeutscher. Er sagt, warum Deutschland nicht seine Heimat sein kann, warum er den Boxer Muhammad Ali bewundert und zum Islam übergetreten ist

Interview THOMAS WINKLER

taz: Auf deinem ersten Album, „Basstard“, spielte deine Identität als Afrodeutscher nur eine untergeordnete Rolle. Auf dem neuen Album, „Daniel X“, thematisierst du diese Identität ausdrücklich. Warum dieser Wandel?

D-Flame: Ein schwarzes, deutsches Album wollte ich schon immer machen, seit ich mit 16 oder 17 auf ein Videotape von Muhammad Ali gestoßen bin. Der hat mich schon als Kind fasziniert. Damals habe ich begonnen, mich zu fragen, warum er zum Islam übergetreten ist. Schließlich habe ich die Autobiografie von Malcolm X gelesen und eine Gänsehaut bekommen, wie viele Parallelen es zu meinem Leben gab. Meine Mutter ist zwar nicht vom Ku-Klux-Klan gejagt worden, aber sie wurde als Niggerschlampe beschimpft. So wie Malcolm X’ Mutter sollten meiner Mutter die Kinder weggenommen werden. Ein Kind wurde ihr auch weggenommen. Malcolm X’ Vater war tot, meiner wurde ausgewiesen. Wie Malcolm X bin ich auf Abwege geraten, habe mit Drogen gehandelt und Einbrüche gemacht. Malcolm X kam durch die Kraft des Islam da raus.

Du bist auch zum Islam konvertiert?

Für mich war sehr wichtig, dass im Islam keine Rassen gesehen werden. Aber ich bin kein strenggläubiger Muslim, denn da fängt für mich Fundamentalismus an. Aber im Ramadan faste ich, und ich gehe in die Moschee, wenn ich Zeit habe. Die Nähe zu Gott ist auf jeden Fall wichtig für mich. Es heißt: Wenn man mit sich selbst redet, redet man mit den Engeln.

In deinen Texten wird Frankfurt zu einer Stadt mit Ghettos wie in den USA. Kann man Frankfurt-Nordweststadt wirklich mit South Central Los Angeles vergleichen?

Die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, die kann man auf jeden Fall vergleichen. Bei den Jugendlichen in South Central heißt es, du kriegst als Nigger keinen Job, und in Nordwestheim heißt es, du kriegst als Kanake keinen Job. Auch der Tagesablauf der Leute ist fast der gleiche: Okay, in South Central dealen sie mit Crack, und in Nordweststadt dealen sie mit Koks oder Haschisch.

Dein Stuttgarter Rapper-Kollege Afrob hat nach einer sehr erfolgreichen ersten Platte ein zweites, sehr viel politischeres Album aufgenommen, das gefloppt ist. Hast du Angst, dass dir mit „Daniel X“ etwas Ähnliches passiert?

Für mich war es wichtig, mir den Stress von der Seele zu reden. Das war für mich immer Rap, so eine Art Psychoanalyse. Wenn ich jetzt meine Autobiografie darstelle, dann muss ich das machen, weil man Probleme nur bewältigen kann, wenn man offen darüber redet. Natürlich will man von den Plattenverkäufen leben, aber bei der Platte ist mir zehnmal wichtiger, dass Jugendliche auf der Straße sagen, das ist eine echte Geschichte.

Verkauft sich politische Positionierung schlecht?

Hier in Deutschland hat keiner Lust darauf, dass wir anfangen zu sagen: Wir sind schwarz und stolz darauf. Das ist doch klar. Die Deutschen wollen nicht hören, wie sie mit ihren Minderheiten umgehen. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile Leute, die wollen lieber schwarz sein. Mir hat mal ein deutscher Rapper ins Gesicht gesagt, er wäre lieber schwarz. So was Dummes, weil Hautfarbe doch egal sein sollte – gerade wenn du Musik machst, gerade im HipHop. Aber wenn über Eminem berichtet wird, steht da immer wieder, vor allem in Deutschland: der weiße Rapper. Obwohl Eminem selbst sagt: It’s not white music, it’s not black music, it’s fight music.

Wie wichtig war und ist HipHop für die Identitätsfindung von Minderheiten in Deutschland?

Für mich war es die Nummer eins. Als ich das erste Mal „Wild Style“ geguckt habe, habe ich das mit meinen türkischen Freunden geguckt. Die haben sich mit den Puertoricanern und ich hab mich mit den Schwarzen in dem Film identifiziert. Durch Public Enemy oder die Jungle Brothers habe ich angefangen, mich mit Afrika zu beschäftigen, mit meiner Kultur. Meine Mutter hat mich zwar gezwungen, „Roots“ zu gucken, aber das fängt ja nur in Afrika an und spielt dann doch meistens in den USA. Durch HipHop habe ich angefangen, mich mit der afrikanischen Geschichte zu befassen. Ich habe gelernt, dass es eine Zivilisation lange vor der Sklaverei gab, dass es riesige, wohlhabende Königreiche wie Ghana oder Mali gab. Ich weiß nicht, was ohne HipHop aus mir geworden wäre.

In deinem Song „Zwei Welten“ heißt es: „Man kommt sich vor, als ob man überall stört, ohne zu wissen, wo man herkommt oder wohin man gehört.“ Was ist wichtiger: zu wissen, woher man kommt, oder zu wissen, wohin man gehört?

Sobald du weißt, woher du kommst, weißt du auch, wohin du gehörst.

Im Song „Mama“ heißt es „Fly Away Home“ in Richtung Afrika. Ist Afrika nun dein neuer Sehnsuchtsort? Hat es Jamaika abgelöst, das auf der ersten Platte noch zentral war?

Nein, Jamaika ist es nach wie vor. Nur: In Jamaika mit meinen Jungs, da träumen wir alle manchmal davon, zurück nach Afrika zu gehen. Wir sind alle Verfechter der Marcus-Garvey-Theorie, dass wir mit unserem Wissen, das wir uns überall auf der Welt angeeignet haben, zurück nach Afrika gehen sollten. Das heißt nicht unbedingt, dass man physisch dahin gehen muss, man kann auch mental zurückgehen. Ich habe noch afrikanisches Blut in mir, und die Back-to-Africa-Movement ist wichtig für mich. Ich habe Afrikaner kennen gelernt, die kommen hierher, studieren und gehen nicht zurück in ihr Land, obwohl sie drüben zehnmal mehr gebraucht würden. Ich möchte einen Ausgleich, keine Erste, Zweite, Dritte Welt, sondern nur eine Welt.

Siehst du Afrika als Heimat?

Mit „Fly Away Home“ ist gemeint: Besinn dich deiner Herkunft, sei stolz auf das, was du bist. Zu mir kommen Ghanaer, die sagen: „Yo man, what’s up, I am American“, dabei hört man schon am Akzent, wo sie herkommen. Viele wollen vergessen, woher sie kommen.

Mit deinem hessischen Dialekt müsstest du dich aber eindeutig zu deiner hessischen Heimat bekennen.

Nein, weil das hier nie meine Heimat war, ich wurde hier nie heimatlich behandelt. Natürlich bin ich auch in Mali der Deutsche. Aber: Wo wirst du offener und warmherziger empfangen, auch wenn du der Deutsche bist? Ich werde auf der anderen Seite in Accra oder Kingston wärmer empfangen, obwohl ich hier schon seit 31 Jahren wohne. Aber ich werde hier nicht als Deutscher akzeptiert. Obwoh ich stolzer Hesse bin, solange ich in Deutschland bin. Da ist doch klar, dass ich mich zu der liebenden Seite hingezogen fühle.