Die Möbel des Vormieters werden verheizt

Gegen die Kälte arbeiten

Die Tage sind kalt und ein bisschen traurig im Hintergrund. Meist bleibt man zu Hause, weil’s zu kalt ist, manchmal regnet es ein bisschen, häufig ist man erkältet, und die Erkältung dämpft die Geräusche, die von außen hereinkommen, und man hat irgendwie das Gefühl, als müsse alles, was von außen kommt, erst durch so eine Schleimschicht durch, als müssten sich auch die Gedanken und Gefühle durch arg verschleimte Bahnen kämpfen. Der Fernseher läuft meist so nebenbei, und in den Werbepausen machen sie für Nescafé Reklame: „Nescafé Express – immer schön wach bleiben!“ Das tut man auch – logisch, wenn man am Fenster sitzt – und geht ansonsten jeden Tag zwei- oder dreimal in den Keller, Holz sägen und die Holzteile dann in Eimern in die Wohnung nach oben tragen. Freund Fikred hatte geholfen vor ein paar Wochen. Nachdem man erzählt hatte, dass man sich dies Jahr keine Kohlen kaufen könne, hatte er gefragt, ob man nicht mal mitkommen wolle beim Kellerentrümpeln. Anders als der tatenlos jammernde Großteil der Bevölkerung tut Fikred nämlich was. Er ist Kellerentrümpler, gurkt mit einem Kleintransporter durch die Gegend und entrümpelt mit Energie und großem Charme.

Die Entrümpelung fand in Lichtenberg statt. Lichtenberg ist der Stadtteil mit der höchsten Hundehaufenverbreitung in ganz Berlin. Verglichen mit Lichtenberg ist Kreuzberg praktisch hundekotfrei. Praktisch heißt das, dass man aus dem Auto stets direkt in Hundekothaufen steigt. Der Keller war vermutlich zuletzt vor 70 Jahren gesäubert und entrümpelt worden. Ich assistierte Fikred und bekam dafür das Brennbare; ein paar Eierkohlen, Schrottmöbel, Fensterrahmen, Balken, Holz halt. Ein ziemlicher Haufen, den wir dann zu meinem Keller fuhren.

Wenn man dann ständig in den Keller geht, nach dem Aufstehen oder abends, ist die Außenwelt noch weiter weg, und man ahnt die Gespenster nur, man kann sie nicht hören, wenn sie sich anschleichen im Schutz der lärmenden Stichsäge. Dieser feuchte, alte Keller. Er erinnerte an die Wohnung von „Rocco und seinen Brüdern“. Wenn man hineinging, stieß man fast gegen den uralten Waschkessel, in dem noch rostig-öliges Wasser war, wenn man den Deckel herunternahm. Alles war verdreckt. In den Deckenecken waren Spinnennetze, in denen längst verstorbene Spinnen in einem Kokon aus weißem Pilz hingen. Auf dem Boden Dreck, Sand, Sägespäne und Kohlenstaub. Putz bröckelte von den verdreckten Wänden; durchs zerbrochene Fenster, ein Schlitz ja eigentlich nur, zog es ein bisschen. Auf wackligen, verdreckten Metallregalen am Rande standen alte Metalldosen, deren ehemals nützliche Inhalte sich längst in Gift verwandelt hatten.

Ein kleiner Motor, der an ein ausgebautes Herz erinnerte, war auch dabei, und Schrott und ein verrostetes Beil lagen auf dem Boden und ein Holzbock zum Holzhacken in der Mitte des Raumes zwischen Sägespänen und Kohleresten und feuchten Pappkartons, in denen mal Apfelsinen gewesen waren. In der einen Kellerhälfte standen und lagen die auseinander gebauten Möbel des Vormieters: ein niedriger, kleiner, billiger, verdreckter Jugendzimmer-Ikea-Sessel mit einem lila-blau-rot-weiß-grauen 70er-Jahre-ornamentalen Sitzflächenkissen, ein runder weißer Ikea-Balkon-Tisch, die Bretter der Schränke, die den Vorvormietern gehört hatten. Gesägt wurde auf einem wackeligen Beistellpflanzentisch. Einerseits war es demütigend, jeden Tag mehrmals in den Keller zum Sägen gehen zu müssen – besonders wenn man gerade erkältet war oder noch müde vom Schlafen am Morgen –, andererseits auch prima literarisch.

Déjà-vus der ersten Berliner Jahre in den 80ern kamen auf, in denen man so manchen Ofen durch das Heizen mit Holz demoliert hatte; man dachte an Kafkas „Kübelreiter“ und überlegte, wieso der verzweifelte Held, der vergeblich um Kohlen bat, nicht einfach Holz von der Straße sammelte? Ein älterer Kollege erklärte, dass das vielleicht gar nicht gegangen wäre, weil früher nur selten Möbel weggeworfen worden wären. Egal. Die Situation war schwierig, aber schön war’s doch, sagt man sich, um die Krise in die Vergangenheit zu scheuchen, und guckt noch mal bei Roland Barthes’ „Fragmenten einer Sprache der Liebe“ nach, wo es heißt, dass die Angst vor dem Zusammenbruch eigentlich nur „die Angst vor einem Zusammenbruch [ist], der bereits erlebt worden ist“.

Das ist tröstend, und eigentlich erfüllt es einen ja auch mit einer gewissen Befriedigung, wenn man sieht, wie das Drecksgerümpel im Keller jeden Tag weniger wird. Irgendwie war es toll, sägend und heizend den Keller leer zu räumen, jeden Tag etwas zu tun, dessen Nutzen unmittelbar einleuchtete, nach der Arbeit mit dreckigen Händen nach Hause zu kommen, und man kam sich auch ein bisschen unentfremdet vor, wenn man so jeden Tag eine Stunde fürs Warme – gegen die Kälte – arbeitete.

DETLEF KUHLBRODT