Digitaler Gleichschritt

Peter Jackson hat auch für den zweiten Teil des „Herrn der Ringe“ tolle Bilder gefunden. Nur das Grundproblem des Fantasy-Genres hat er nicht gelöst: Wie sieht eigentlich das absolut Böse aus?

von SVEN VON REDEN

„Der vorherrschende literarische Modus des 20. Jahrhunderts war der des Fantastischen“, beginnt Tom Shippey seine letztes Jahr veröffentlichte Eloge auf einen ehemaligen Kollegen an der sprachwissenschaftlichen Abteilung der Universität Oxford: „J. R. R. Tolkien. Autor des Jahrhunderts“. Damit meint er nicht den engen Begriff der Fantasy-Literatur, seine Liste fantastischer Klassiker umfasst Werke von George Orwells „Farm der Tiere“ über Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“ bis hin zum „Herrn der Ringe“. Legt man eine ähnlich weite Definition des Begriffs „fantastisch“ zu Grunde, lässt sich Shippeys Satz auch auf die Filmgeschichte übertragen. Vom „König der Löwen“ bis zu „Star Wars“ – neun der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten entwerfen eine Welt jenseits der Grenzen unserer Realität.

Umso erstaunlicher ist es, dass noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Filme, die in die engere Kategorie Fantasy fallen, wie „Legend“ oder „Dragonheart“ Kassengift waren, während das verwandte Genre Science-Fiction immerhin fünf der zehn umsatzstärksten Filme stellt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Fantasyfilmen aufgrund dieses schlechten Image selten Budgets zugesprochen wurden, die es ermöglicht hätten, wirklich fantastische Welten zu bebildern.

Es ist eine der größten Leistungen Peter Jacksons, dass es ihm und seinem Team im ersten Teil der Verfilmung des „Herrn der Ringe“ gelungen ist, Tolkiens wuchernde Welt in Bilder zu fassen, die sogar viele der mit fundamentalistischem Eifer über die Schrift wachenden Fans überzeugen. Auch im zweiten Teil ist es die Bildgewalt, die den „Herrn der Ringe“ nicht zuletzt von seinen direkten Blockbuster-Konkurrenten Harry Potter und James Bond absetzt. Von den ersten Hubschrauberbildern schneebedeckter Gipfel bis zu den Massenszenen in einer kargen Klamm am Ende des Films – mit Unterstützung aus dem Computer wandelt die Kamera Andrew Lesnies die Schauplätze in Neuseeland in eine hyperreale Mythenwelt.

Einige Besprechungen des ersten Teils gingen so weit, Neuseeland als eigentlichen Hauptdarsteller zu bezeichnen. Das ist nicht falsch, nur der Umkehrschluss funktioniert nicht. Gerade im Vergleich mit George Lucas’ „Star Wars“-Filmen kann man die beiden bisherigen Folgen der „Herr der Ringe“-Trilogie geradezu als Schauspielerfilme bezeichnen. Mit „Die zwei Türme“ stellt sich aber noch dringlicher als im ersten Teil ein Grundproblem aller Fantasyfilme, das ebenso dazu beigetragen haben dürfte, dass das Genre zunächst nicht die Publikumserfolge feierte wie die Fantasyliteratur: Wie bildet man metaphysische Kräfte ab, ohne sie zu banalisieren?

Wie stellt man etwa das absolut Böse dar, ohne es auf ein irdisches Maß schrumpfen zu lassen? Jackson behilft sich mit Computertechnologie und mit der Aura von Christopher Lee. Der Fürst der Finsternis Sauron wird im Computer zum von Blitzen umzuckten Riesenauge auf einer Festungszinne, und Lee verleiht dem Zauberer Saruman Glaubwürdigkeit durch sein Image und seine Erfahrungen als wohl bekanntester Dracula-Darsteller der Filmgeschichte. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Darstellung von Frodos Kampf mit dem unheilvollen Einfluss des Rings. Da dieser innere Kampf mit einer unsichtbaren Macht sich schwerlich für grandiose Bilder eignet, legt „Die zwei Türme“ den Fokus auf die actionlastigeren Nebenschauplätze des Buchs.

So werden visuelle zu narrativen Problemen, die beim Brückenteil einer Trilogie immer unvermeidlich sind. Im ersten Teil wurde die Aufgabe definiert: Der Ring der Macht muss zerstört werden. Im dritten Teil wird diese Mission erfüllt. Aber was passiert im zweiten Teil? Der Ringträger kommt seinem Ziel näher, und die anderen müssen gegen allerlei Orks und Getier kämpfen. Das war’s. Dieses erzählerische Problem hat natürlich auch die Vorlage. Eigentlich ist Peter Jackson nichts vorzuwerfen: Er hat die nach heutiger Technik bestmögliche Verfilmung von Tolkiens Mammut-Epos geschaffen (und dabei auch die Ambivalenzen der Vorlage in Bezug auf Rassismus und Sexismus übernommen). Dass der dritte Teil daran etwas ändern wird, ist eher unwahrscheinlich.

Als wegweisend für die Filmgeschichte könnten sich zwei digitale Effektmöglichkeiten erweisen, die in „Die zwei Türme“ erstmals in größerem Umfang verwendet wurden: Durch eine neue Software kann bei Massenszenen jede computergenerierte Figur autonom nach vorher festgelegten Eigenschaften agieren. Die Arbeit mit virtuellen Statisten beschränkt sich also nicht mehr auf die aus „Star Wars“ bekannten Riefenstahl’schen Bilder von Kohorten im perfekten Gleichschritt. Diese Entwicklung findet ihre Entsprechung auch in den „kleineren“ Szenen. Den Trickspezialisten gelang es, für „Die zwei Türme“ mit Gollum/Smeagol eine computergenerierte Hauptfigur zum Leben zu erwecken, die so glaubwürdig wirkt, dass sie den Schauspielern ernsthafte Konkurrenz macht. Es scheint erstmals eine filmische Zukunft denkbar, in der nicht nur Statisten bei Dreharbeiten ersetzbar werden – einstweilen wurden die Bewegungen des Golems Gollum allerdings noch von einem Menschen vorgespielt und auf den Computer übertragen.

„Der Herr der Ringe – Die zwei Türme“. Regie: Peter Jackson. Mit Elijah Wood, Ian McKellen, Viggo Mortensen u. a. USA 2002, 179 Minuten