„Diversität ist Realität“

Vom Kampf um Sichtbarkeit zu erfolgreichen Kinostoffen: Das British-Asian-Kino ist ein neues Label mit einer langen Geschichte. Die Tagung „The Transcultural Turn in European Cinema: London and Berlin in Focus“ gab Anlass für einen Rückblick

von MANFRED HERMES

Am vergangenen Wochenende fand in Berlin „The Transcultural Turn in European Cinema: London and Berlin in Focus“ statt, eine Gemeinschaftsproduktion von British Council und Goethe-Institut. Auf dem Programm standen Kurz- und Spielfilme aus England und Deutschland und verschiedene Diskussionsrunden, in denen sich die Universität, Publizistik, Filmproduktion und -distribution lebhaft mischten: Martin Hagemann, dessen Zero-Film unter anderem die Filme von Thomas Arslan produziert, Hamid Naficy, der den auf der Documenta viel beachteten Begriff des „Accented Cinema“ einführte, der Filmhistoriker Thomas Elsaesser und Cary Sawhney von der Abteilung Kulturelle Diversität des British Film Institute (BFI).

Im Kern der Debatte stand die Frage, ob und wie sich ein ethnisch spezifisches Kino jenseits nationaler Grenzen definieren kann. Trotz aller Transkulturalität war allerdings noch ein Abstand zwischen Berlin und London zu erkennen: Einem politischen Begriff von Film als Praxis stand das in Deutschland immer noch gültige „künstlerische“ Modell des guten Films als einziges Kriterium gegenüber.

Unser Gesprächspartner Dr. Atif Ghani ist Soziologe und Produzent der Take Away Productions. Er hat sich mit der Entwicklung des Independent-Films und der kulturellen Identität in den letzten dreißig Jahren in Großbritannien beschäftigt und die Ergebnisse in Form von Essays und Vorträgen veröffentlicht.

taz: Ich habe den Eindruck, dass das schwarze und das schwule britische Kino, das noch während der Neunzigerjahre sehr präsent war, inzwischen vom British Asian (von Briten mit Herkunft aus Indien, Pakistan, Sri Lanka) Cinema abgelöst wurde.

Atif Ghani: Mir fallen im Moment auch keine Gegenbeispiele ein. Aber man darf nicht übersehen, dass diese verschiedenen Bereiche immer eng miteinander verzahnt waren. Im Grunde kommen wir alle aus derselben Ecke. Wir wurden über Poststrukturalismus und Dekonstruktion an den Unis politisiert. Eigentlich bin ich Soziologe, wurde in Kanada geboren, mein Vater ist aus Pakistan, meine Mutter aus Indien, ich bin in so einer Cowboy-Gegend aufgewachsen, dann nach Toronto gezogen, seit 1992 lebe ich in London.

Eine gute Voraussetzung für transkulturelles Engagement. Wie sind Sie zum Film gestoßen?

Für mich war ein Text von Stuart Hall, „New Ethnicities“, mit seiner Forderung nach einer Politik der Repräsentation von ganz entscheidender Bedeutung. Ich habe mich aber auch während des Studiums mit bestimmten Filmpraktiken und deren sozialen Bedingungen seit den frühen Siebzigerjahren beschäftigt. Als es darum ging, diesen Kampf um Sichtbarkeit und Stimme, um das Auffüllen geschichtlicher Lücken zu führen. Denn noch um 1979 war ja nicht nur der Zugang zu Kameras, sondern auch der zu vernünftigen Wohnungen, Jobs, Ausbildungen und Mitsprache für Briten indischer Herkunft blockiert. Das hat sich erst Anfang der Achtziger nach der Serie von Rassenunruhen geändert.

Danach war es nicht mehr möglich, über die massiven Missstände hinwegzusehen. Die Universitäten wurden geöffnet, die Bezirksregierungen mussten Voraussetzungen schaffen, um den Zugang von, sagen wir, nichtweißen Schichten zu den Institutionen zu ermöglichen. Daraus entstand auch eine bestimmte Art von Filmpraxis, die ich die institutionelle nenne und die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde. Dabei kamen dann Filme wie „Fragen des sozialen Wohnungsbaus in Camden Town“ heraus, vom Bezirk Camden finanziert.

Das klingt etwas abwertend.

Ich fand, dass das die Möglichkeiten von Film nicht ausschöpft. Ein anderes Segment der Workshop-Bewegung, eine zweite Generation von Filmern, war von einer kritischen Filmtheorie und den ersten Cultural-Studies-Seminaren beeinflusst. Projekte wie Sankofa und das Black Audio Film Collective versuchten, das in eine Filmpraxis zu übersetzen. Es entstand ein Kurzschluss zwischen der Universität und audiovisueller Produktion, den vielen Film- und Theorieklassen an englischen und US-Unis, das gegenseitige Zuschieben von Bedeutung. Mir war das zu hermetisch. Die Karriere von jemandem wie Homi Bhabha ist dafür typisch. Mit ein, zwei Ideen – interstitial spaces und „Das Dazwischen, das ich besetze“ – hat er sich in eine fast unangreifbare Position gebracht, danach ist da dann nicht mehr viel passiert. Um aber zurück zu den Filmen zu kommen: Auf ein breiteres Publikum waren sie nie ausgerichtet. Sie haben auch nie ihr Geld eingespielt.

Muss man ihnen das vorwerfen?

Filme zu machen kostet viel Geld, Filme sollten versuchen, eine möglichst große Zahl von Menschen zu adressieren.

Unter Marktbedingungen wären einige Filme etwa von Isaac Julien vielleicht nicht entstanden.

Die Filme des Black Audio Film Collective waren wichtige Schritte. Aber mich hat Juliens „Territories“ oder Sankofas „Passions of Remembrance“ längst nicht so interessiert wie „My Beautiful Laundrette“. Niemand würde auf die Idee kommen, Working Title als eine British Asian-Produktionsfirma zu bezeichnen, und trotzdem haben sie diesen Meilenstein des British Asian-Film produziert …

der gleichzeitig ein wichtiger schwuler Film war.

Und auch der allererste Film von Working Title und kommerziell so erfolgreich, dass mit dem Einspiel zehn weitere finanziert werden konnten. Heute ist Working Title die größte Filmproduktion des Landes, auch wenn die sich nun mehr auf die Vermarktung von Britishness für den US-Markt kaprizieren, von wo sie als „No. 1 US-Hit“ wieder nach England reimportiert werden.

Was macht Sie denn so sicher, dass das kommerzielle Modell so viel besser geeignet ist, eine Filmkultur zu fördern, die etwas höhere Einsätze fährt?

Es ist ja nicht so, dass man da viele Alternativen hätte. Kulturelle Filmförderungen sind in England dramatisch beschnitten worden, es ist auch nicht mehr leicht, an soft money zu kommen. Die Produktionsabteilung von Channel Four hat dichtgemacht, es werden kaum noch Independent-Filme verliehen, immer weniger ans Fernsehen verkauft. An den Wächtern über die Gelder muss man ja erst mal vorbeikommen, was nicht ohne Vorzensur abgeht. Da kann man gleich über eine Finanzierung als Koproduktion nachdenken, so gewinnt man letztlich eine größere Freiheit.

Filme wie „Masala“, „Monsoon Wedding“ oder „Bend It Like Beckham“ haben gezeigt, dass es einen Markt für ein Kino jenseits von Hollywood gibt. Dass es ein Interesse an Erfahrungen gibt, die mit Migration, Fremdheit, Assimilation und den Kämpfen um Behauptung in den städtischen Zentren zusammenhängen. Ich sehe darin die Bereitschaft, ethnische Diversität als die Tatsache anzuerkennen, dass es kein Zurück gibt zu einer homogenen, nationalen Kultur. Zur allgemeinen Überraschung spielten diese Filme außerdem große Summen ein.

Kommt diesem British Asian- Kino nicht auch die niedliche Bollywood-Mode entgegen?

Es hat ein British Asian-Kino auch vorher gegeben. Und auch das neue Ansehen von Bollywood steht ja in einem Kontext. Wenn man allerdings die Artikel liest, die Mitte des Jahres erschienen sind, dann hätte man denken können, Andrew Lloyd Webber habe das alles erfunden, jedenfalls gab es niemanden, der „Bombay Dreams“ nicht miterwähnt hätte. Aber Bollywood ist auch nichts anderes als Hollywood, nur noch gleichförmiger, traditionalistischer und isolierter.

Und Hollywood hat ja eine gewisse Durchlässigkeit.

Aber auch nur, um leichter die verschiedenen Märkte abzudecken und von da aus dann doch wieder mit seinen homogenisierten Visionen zu überziehen. Es war immer das Ideal einer vor allem englischen Filmproduktion, den amerikanischen Markt im Auge zu haben. Dabei macht der nur ein Viertel der möglichen Verbreitung aus. Die Antwort muss wohl sein, dass man die Geschichten, die neben Hollywood auch noch erzählt werden müssen, in einer Weise anlegt, die ihre Auswertung im Kino erlaubt, indem man die kulturelle Spezifik mit einer universellen Resonanz ausstattet.

Wie macht man das?

Aufbau überzeugender Storys und Figuren, meinetwegen Initiationsgeschichten.

London ist sicher eine gute – sozusagen geschichtlich privilegierte – Basis für diese Art von Filmproduktion: Die fortgeschrittenen ethnischen Mischungen, die Traditionen des Arbeiterfilms, das alles einerseits theoretisch begleitet, andererseits mit einem gewissen popkulturellen Drall versehen.

Städte wie London sind sehr real existierende multikulturelle Gesellschaften. Sie sind eine Werkstatt für ein Zusammenleben, das auch für andere Vorbild ist. Hier werden Dinge vielleicht früher als sonstwo durchgespielt, was natürlich auch auf Filme durchschlägt.

In Idee und Realität kultureller Diversität und Mischung ist durch das Attentat vom 11. September ein mächtiger Keil getrieben worden.

Das hat die Situation bestimmt nicht einfacher gemacht. Seitdem sind die Medienbilder des Islam oder so genannter islamischer Gesellschaften auffällig beschränkt. Wenn man in einer komplexeren Umgebung lebt, ist das natürlich ziemlich übel.

Worauf kommt es da an?

Es macht keinen Sinn, mit einem kohärenten, sozusagen nationalistischen Verständnis von British Asianness zu reagieren. Es muss dabei bleiben, dass man die ethnische Identität strategisch einsetzt. Das Label British Asian ist für mich ein Anfang, die Definitionen müssen instabil bleiben.

Mit Ghasem Ebrahimian, der Kamerafrau/Koregisseurin für die meisten von Shirin Neshats Filmen, bereiten wir gerade einen Film vor. Wir bringen das Geld in Europa auf, werden es im Iran verdrehen, die Postproduktion findet dann in New York statt. Diversität ist keine Beliebigkeit, sondern eine Realität und Notwendigkeit.