Niemand schubst die Kuh vom Eis

Wie heißt die Band, die die Party rockt? Beim Abschlusskonzert ihrer Tour in Berlin machten Deichkind all das, was man als HipHop-Crew so macht

Ihr wolltet Hamburger Old School, Hamburger Old School ist, was ihr kriegt. Denn das Deichkind hat seine zweite CD „Noch fünf Minuten Mutti“ draußen, und das, was darauf nach groovy Technotronic-Beats mit leider nicht mehr ganz so smarten Texten wie früher klingt (dazu später), ist live so, wie es sein soll: voll fett, krass, deep, derbe; keine Sorge, irgendwann werden die jungen Menschen schon von allein aus ihrer selbst gewählten Peergroup ausbrechen und den angeübten HipHop-Slang wieder ablegen.

Deichkind selbst, die Philipp, Malte, Buddy, DJ Phono und Sebi Professionell (der Mischer) heißen und in Wirklichkeit genauso groß sind, wie sie vorgeben zu sein (das liegt aber an der vitaminreichen Bergedorfer Luft), scheinen sich jedenfalls längst selbstironisch über ihre Rollen als böse Typen hinweggesetzt zu haben. Beim letzten Konzert der „Zauberhaften Tour“ am Freitag im Berliner Maria machen sie natürlich in erster Linie das, was man als HipHop-Crew so machen muss: in shabby Klamotten vorne auf der Bühne herumwedeln, sich gegenseitig die Stichworte zuwerfen und mit großen Schritten und großen Gesten und den Mics in extra selbst gebauten Mic-Zeptern posen.

Angeben kann man auch dazu sagen, macht aber nichts, HipHop ist Angebemusik für Jungs, die es nötig haben, was seiner Qualität keinen Abbruch tut, es gibt eine Zeit, da hat es jeder und auch jede nötig. Vor allem spielen sie mit ihren Rollen, veräppeln sich selbst und Berlin und die dicke Hose, auf die sie machen: „Berlin, an euch kommt keiner ran, keiner kommt an euch ran, was? Keiner kommt an euch ran!“, greinen sie so oft, bis das Kompliment ausgelappt ist.

Und die Fans im Maria prosten ihnen begeistert zu, passenderweise mit dem ansonsten in Berlin eher raren Hamburger Billigbier Astra, und singen von der neuen Platte zwar noch nicht jede Zeile, aber beinahe jede mit: „Du meinst, du weißt gut Bescheid / Äh, äh, Baby, tut mir Leid / Ich weiß was, was du nicht weißt / Niemand stoppt die Crew vom Deich“, zum Beispiel, aber vielleicht auch: „Niemand schubst die Kuh vom Eis“, oder: „Niemand schreit hier Wowereit“, oder auch: „Niemand hat für Schuhe Zeit“, so genau kann man das nicht sagen, die Crux mit Live-HipHop ist meist, auch hier, die magere Tonqualität, die nicht an mangelnden Technikerfähigkeiten liegt, sondern an der Schwierigkeit, drei bis vier herumschreiende Männerstimmen verständlich über dröhnende Beats und Bässe zu mixen.

Das hat jedoch sein Gutes: Irgendwie werden die Beats so wieder wichtiger als die Rhymes, und den Flow hat Deichkind ohnehin mit der Muttermilch aufgesogen. Sie können es sich sogar leisten, ihn ab und an zu brechen und einfach ein nur mit Gitarre begleitetes Countrystück zu spielen, Malte macht das souverän und nennt es spaßeshalber Freestyle.

Trotzdem waren die Texte schon mal gewitzter. Mit „Bon Voyage“, dem größten und einzigen Hit der Hamburger von ihrer ersten Platte, schaffte es das Deichkind vor ein paar Jahren, fast so weit wie Kollegen von 5 Sterne de Luxe oder Fettes Brot in die HipHop-Zellen der Öffentlichkeit vorzudringen, ein groovy Tanzhit mit extremen Mitsingpotenzial: „Wippe mit dem Beat, und beweg dein’ Arsch / wenn das Deichkind am Mic ist, bon voyage.“ Von der ersten Platte, mit der es trotz Hit aus unerklärlichen Gründen nicht so abging, wie es sollte, obwohl die Attitüde und alles andere stimmte, spielten Deichkind am Freitag als Zugabenmedley ihre Lieblingsstücke, begleitet von hunderten von Kehlen: „Komm schon, bitte, bitte, sag mir doch, wie heißt die Band, die die Party rockt? DEICHKIND!“, und: „Hamburg dies, Hamburg das, Hamburg Fachjargon, nicht so wischi-waschi wie im Waschsalon.“

Zugegeben, wenn man die Rhymes aufschreibt, statt sie mitzugröhlen, gewinnen sie nicht unbedingt. Aber bei HipHop ist es eben so, dass man vorher schon drin haben muss, was man beim Konzert rauslässt. Und für die Vorbereitung haben die jungen Menschen mit den weiten Hosen bekanntlich noch viel Zeit. JENNI ZYLKA