Das Millionending


Ermittlungen werden dadurch erschwert, dass Identität und Aufenthalt der Täter kaum feststellbar sind

von RUSS BAKER

Als Shahla Ghasemi einen Anruf bekam und jemand ihr sagte, sie und ihr Gatte hätten in Nigeria geerbt, musste sie erstmal lachen; die Frau aus Tampa im US-Bundesstaat Florida kannte überhaupt niemanden in Nigeria. Sie wusste nicht einmal, wo das liegt. Aber der Mann am Telefon klang so überzeugend, dass Frau Ghasemi und ihr Ehemann, der Arzt Ali-Reza, überlegten und eine Erklärung fanden. Vielleicht war ja einer der früheren Geschäftspartner von Dr. Ghasemi, die wie die Ghasemis 1979 vor der Revolution aus dem Iran geflohen waren, in Nigeria gelandet und hatte beschlossen, sie zu Erben zu erklären.

Tatsächlich machten die Ghasemis schon ihren ersten großen Fehler, als sie nicht sofort den Hörer auflegten. Für diesen Fehler bezahlten sie teuer. Sie mussten ihr Haus beleihen und verloren 350.000 US-Dollar: an den „Advance Fee Fraud“ aus Nigeria, der seine Opfer weltweit bislang schätzungsweise 5 bis 12 Milliarden Dollar gekostet hat.

Shahla Ghasemis Zweifel nach dem ersten unerwarteten Anruf aus Nigeria im August 2000 legten sich, als ein offiziell aussehender Bestätigungsbrief als Fax eintraf. Der Name des Toten mutete nicht bekannt an, wohl aber iranisch. Die Ghasemis wurden aufgefordert, sich einen guten Anwalt in Nigeria zu suchen, um die Formalitäten zu erledigen. Sie baten den Absender um einen Vorschlag und wurden am nächsten Tag von einem Anwalt Williams angerufen. Williams sagte, er benötige einen Vorschuss von 7.500 Dollar – nicht wenig, aber auch nicht viel angesichts einer einer Erbsumme von 27 Millionen Dollar, von der 7 Millionen an die Ghasemis gehen sollten. Wie gewünscht wiesen sie das Geld telegrafisch über Western Union an, so dass Williams ihren Anspruch auf das Erbteil geltend machen konnte.

Einige Tage später teilte man ihnen auf gefaxten Dokumenten mit Regierungsstempel mit, es gebe ein Problem: Ihr verstorbener Freund habe eine Geldstrafe in einer Umweltsache nicht bezahlt. Die Ghasemis überlegten: Die geforderte Summe von 40.000 Dollar schien lächerlich, verglichen mit ihrem Erbe. Also gingen sie wieder zu Western Union. Am darauffolgenden Donnerstag rief ihr Anwalt sie aus Nigeria an und bestätigte, das Geld werde am Montag verfügbar sein. Entsprechende schriftliche Bestätigungen des Geldtransfers über eine Schweizer Bank folgten.

Am Montag rief der Anwalt noch einmal an. Es gebe noch ein Problem: eine Steuerschuld des Verstorbenen von etwa 70.000 Dollar. Frau Ghasemi schlug vor, den Betrag einfach vom Erbteil abzuziehen, aber der Anwalt sagte, dies sei nach nigerianischem Gesetz nicht möglich. Sie weigerte sich, noch mehr Geld anzuweisen. Der Anwalt bot ihr die Möglichkeit, die Summe von ihrem Konto auf eine Bank in Nigeria zu überweisen. Was sie auch tat.

Erneut erhielten die Ghasemis Mitteilung, dass Nigerias Behörden die Erbsumme freigegeben hätten. Bald werde ein Vertreter aus Atlanta anrufen und Anweisungen durchgeben, wie man das Geld bekomme. Es rief tatsächlich jemand an, von der First Union Bank. Er sagte Dr. Ghasemi, angesichts der Höhe der Summe müsse das Geld persönlich in Atlanta abgeholt werden. Sie flogen also nach Atlanta und sprachen bei der First Union Bank vor. Dort erfuhren sie zu ihrer Überraschung, dass der Angestellte nicht existierte. Sie riefen ihn auf seinem Handy an. Er sagte ihnen barsch, sie hätten ihn missverstanden und seine Anweisungen nicht befolgt und er warte auf sie in ihrem Hotel.

Eine halbe Stunde später trafen sie im Hotel auf zwei Nigerianer, der eine in traditionellem Look, der andere im Designeranzug. Das Duo prüfte die Papiere der Ghasemis und ihre Unterschriften. Dann verlangten sie eine Bearbeitungsgebühr von 11.500 Dollar. Die Ghasemis boten an, per Kreditkarte zu zahlen. Das ginge nicht, sagten ihnen die Nigerianer, und auch ein Scheck würde Tage brauchen. Also gingen die Ghasemis zurück zur First Union Bank, wo ein Mann sie erwartete und das Geld in bar entgegennahm. Er sagte, das Erbe würde bis 16 Uhr auf ihrem Konto sein. Das war nicht der Fall, und die Ghasemis fuhren frustriert zum Flughafen.

Unterwegs klingelte ihr Handy. Ein zorniger Mann sagte, sie seien selbst schuld – es gebe noch Formalien zu erledigen. Sie müssten unbedingt ins Hotel zurückkehren. Allmählich müde und skeptisch, taten die Ghasemis das auch. Gegen Abend erschienen zwei andere Nigerianer. Sie sagten den Ghasemis, die Behörden hätten das Geld in bar freigegeben. Frau Ghasemi sagte, sie könne nicht 7 Millionen Dollar in bar annehmen, das sei unpraktisch und offensichtlich illegal. Die Männer boten unterstützende Dokumente an. Die Ghasemis schlugen vor, das Geld persönlich in Augenschein zu nehmen und am nächsten Morgen mit den beiden Männern zur First Union Bank zu fahren und es dort einzuzahlen. Die Nigerianer waren einverstanden und baten die beiden, sie auf den Parkplatz zu begleiten.

Frau Ghasemi war da schon sehr misstrauisch. Aber ihr Mann ging mit, zum Auto der Nigerianer. In einem Karton, in dem er Dollarscheine erwartete, sah er einen Haufen schwarzes Wachspapier. Die Nigerianer sagten, dies sei „diplomatisches Geld“: besonders behandelte Scheine, aus diplomatischen Gründen temporär geschwärzt. Sie gingen ins Hotelzimmer. Einer der Nigerianer trug einen Behälter mit Chemikalien. Er wusch eines der Papierstücke – und tatsächlich erwies sich dieses als 100-Dollar-Schein. Doch bei 7 Millionen Dollar machte das 70.000 Scheine; die Chemikalien dafür seien teuer und die Ghasemis würden 185.000 Dollar zahlen müssen, um buchstäblich Geld zu waschen.

Jetzt hatte Frau Ghasemi genug davon. Ihr nigerianischer Anwalt hatte ihnen von so etwas nichts gesagt. Sie flogen zurück nach Florida, ohne Geld. Um 5 Uhr früh am nächsten Morgen riefen sie Herrn Williams an. Er gab sich empört über den Trick mit dem „diplomatischen Geld“ und sagte, er werde direkt im Präsidialamt von Nigeria anrufen, wo er Leute kenne. Zwei Tage später rief er zurück. Bei einem Treffen im Präsidentenbüro habe er erfahren, dass aus Haushaltsgründen die Regierung darauf bestehe, dass Empfänger vom „diplomatischem Geld“ die Kosten der Säuberungschemikalien selbst tragen. Der Anwalt schlug den Ghasemis vor, eine Quittung zu behalten, weil zum Jahresende 2000 die Regierung Nigerias Finanzhilfe von den USA und Japan bekommen werde und dann die Chemikalien ersetzen könne. Gleichzeitig rief aber andauernd der Mann aus Atlanta bei den Ghasemis an und bedrängte sie, endlich die Chemikalien zu bezahlen, denn es gebe noch andere Leute, die auf Geld warten. Er bot letztendlich an, aus eigener Tasche 35.000 Dollar vorzustrecken. Aber die anderen 150.000 müssten die Ghasemis schon selbst zahlen.

Noch ein letztes Problem harrte der Lösung. Nach der „Geldwäsche“, sagte der Mann den Ghasemis, gebe es zwei Wege, an „ihre“ 7 Millionen zu kommen. Entweder sie eröffneten ein so genanntes Transitkonto – aber dafür war die Mindesteinlage 350.000 Dollar plus eine Rolexuhr für den Mann, die er Nigerias Präsidenten schenken wolle, weil der ihm so einen einträglichen Job verschafft hatte. Oder sie kämen selbst nach Atlanta, wo eine Limousine sie am Flughafen abholen und dahin bringen würde, wo das Geld gesäubert würde, damit sie persönlich dabei seien und das Geld dann mitnehmen könnten.

Frau Ghasemi war skeptisch. Herr Ghasemi bestand darauf: Sie hätten keine Wahl, denn sonst verlören sie nicht nur die 7 Millionen, sondern auch all die anderen Vorauszahlungen und Gebühren. Frau Ghasemi wollte nicht mehr. Sie ignorierte die Warnungen der Nigerianer, das Geschäft müsse vertraulich bleiben, und bat einen US-amerikanischen Freund um Rat. Da erfuhr sie: Sie und ihr Mann waren auf einen langen, teuren Holzweg geführt worden, der inzwischen weltweit nach dem entsprechenden Paragrafen des nigerianischen Gesetzbuches „419 Scam“ genannt wird.

Frau Ghasemi rief beim FBI in Tampa an. Es war ein Ferienwochenende, nur die Bereitschaft war am Telefon. Vielleicht war es ihr iranischer Akzent, meint sie, aber jedenfalls sagte der Beamte, er könne nichts tun. Am nächsten Tag rief sie die US-Botschaft in Lagos an. Am Telefon war jemand mit einem nicht ganz amerikanischen Akzent, der angab, er sei Dr. Mora aus Washington. Er hörte sich die Geschichte an, schrieb sich ihre Nummer auf, entschuldigte sich wegen eines anderen Gesprächs und rief nach einer Weile zurück – mit überraschenden Neuigkeiten.

Es war gar kein Betrug, enthüllte der US-Botschaftsmitarbeiter. Dr. Ghasemi sei tatsächlich Begünstigter der Geldsumme, und die werde von Nigerias Regierung gehalten. Er schickte eine schriftliche Bestätigung, auf Briefpapier der Botschaft. Und er sagte, er werde selbst zur Zentralbank gehen, um herauszufinden, was denn das Problem sei.

Frau Ghasemi rief beglückt ihren Schwager an, von dem sie bereits 150.000 Dollar geborgt hatte. Aber der bestand darauf, dass sie das US-Außenministerium informiere. Da warnte man sie erneut vor „419“. Sie erklärte, man habe ihr doch gerade aus der US-Botschaft bestätigt, das Geld sei real, und gab die Nummer an, die sie angewählt hatte. Da wurde ihr Gesprächspartner im Außenministerium höchst besorgt. Dies bedeute, sagte er, dass die Bande einen Komplizen in der US-Botschaft hatte. Frau Ghasemi sagte, sie sei nicht die einzige Person, die diese Art von Erfahrung mit der US-Botschaft hatte – eine Situation, die inzwischen behoben worden sein soll.

Der Geheimdienst stellte Agenten ab, um den Fall Ghasemi zu überwachen. Man sagte den Ghasemis, sie hätten Glück: sie lebten noch. Manche 419-Opfer seien nach Nigeria gereist, um die Sache vor Ort zu klären, und hätten schlimme Erfahrungen gemacht. Hätten die Betrüger einmal gemerkt, dass kein Bargeld mehr zu erwarten sei, hielten sie sich an Wertgegenstände und Papiere. Annie McGuire, die 419 Scams untersucht, sagt: „Sie schlagen Leute, erschießen sie, entführen sie in den Dschungel oder werfen sie in den Fluss.“

In der Bank nahm ein Mann das Geld in Empfang und sagte, das Erbe würde um16 Uhr auf ihrem Konto sein

Die Masche scheint nicht ohne schweigende, wenn nicht explizite Duldung durch hohe nigerianische Regierungsstellen zu funktionieren. Nigerias Regierung indes weist jede Beteiligung zurück und behauptet, sie selbst gehe gegen den Betrug vor, weil er das Ansehen Nigerias weltweit beschädige und den legalen Handel abschrecke.

Aber nur wenige Menschen sind im Zusammenhang mit 419 verhaftet worden. „Leider bieten die Polizei und andere Behörden den Opfern keine Hilfe an “, stellt das US-Außenministerium in seinen Reisewarnungen klar. Ab und zu gibt es öffentlichkeitswirksame Festnahmen, aber die meisten kommen schnell wieder frei. Ein Empfänger telegrafischer Überweisungen der Ghasemis aus Florida kam in Haft, wurde aber wieder freigelassen. Eher noch droht den ausländischen Opfern des Betrugs Haft in Nigeria wegen Beteiligung an illegalen Geschäften.

Unbeantwortet bleibt die Frage, wie die Betrüger serienweise amtliche Briefköpfe und Stempel benutzen können und zuweilen sogar aus Regierungsbüros heraus operieren, wo sie jene Opfer empfangen, die selbst nach Nigeria reisen. Vielleicht sind Staatsbeamte selbst daran beteiligt oder sie vermieten ihre Büros für einen Nachmittag.

Wie kompliziert die Sache ist, erfuhr Frau Ghasemi, als sie einen Senator in Nigeria anrief. Sein Büro gab ihr die Nummer des Büros des Chefs der Zentralbank. Dort versprach jemand, die Geschichte aufzuklären, und bat sie, den Schriftverkehr zu faxen. Die angegebene Faxnummer war die der Betrüger.

Viele Regierungen haben damit gezögert, wegen solcher Geschichten Druck auf Nigeria auszuüben oder den Opfern zu helfen. Es gibt wenig Sympathie bei den Gesetzeshütern für Leute, von denen man sagt, sie hätten es doch gleich wissen müssen. Und Ermittlungen werden dadurch erschwert, dass Identität und Aufenthalt der Täter kaum zweifelsfrei feststellbar sind.

Doch weltweit hat die Polizei inzwischen Sonderkommissionen für 419 eingesetzt. Banken, die früher Opfer nie warnten, geben nun Standardwarnungen heraus, wann immer jemand größere Überweisungen nach Nigeria tätigen will. Nigerias Präsident kam im vergangenen September zu einer internationalen Konferenz über 419 in New York. Die Ghasemis waren auch da. Ihr Fall spielte eine zentrale Rolle. Weil sie alles penibel erzählt hatten, konnten die Behörden der Sache erstmals genau nachgehen. Sie bekamen die Nachricht, Nigerias Zentralbank habe herausgefunden, in welcher Bank ihr Geld gelandet sei, und es werde ohne Abzüge zurückgezahlt. Interessanterweise war das Geld auf einem Konto im Libanon gelandet. Die 419 Scams haben sich über Nigerias Grenzen hinaus ausgedehnt. Sie kommen aus ganz Westafrika – es gibt dort eine reiche libanesische Minderheit –, wenn nicht gar aus der ganzen Welt. Die Frage, was mit den ergatterten Geldern passiert, wird derweil immer dringlicher, da Geldwäsche und Betrug die Finanzierungsquelle etwa von al-Qaida und anderen kriminellen und terroristischen Netzwerken bilden.

Bis heute bekommt Frau Ghasemi Anrufe aus Nigeria. Neulich rief jemand angeblich aus dem Büro des nigerianischen Präsidenten an und entschuldigte sich im Namen des Präsidenten. Er sei Leiter des Antibetrugsbüros der Regierung, sagte er. Sie forschte nach. Er war es nicht.