Postmoderner Manchesterkapitalismus

Ein „Handbuch für Globalisierungskritiker“ analysiert klar die Zusammenhänge der weltweiten Finanzspekulationen

Der Neujahrstag des Jahres 1994 sollte mit einem feierlichen Staatsakt in die Geschichtsbücher eingehen: Es war der erste Tag der Nordamerikanischen Freihandelszone. Doch die Pläne der Präsidenten von USA, Kanada und Mexiko wurden von der Zapatistischen Armee der nationalen Befreiung durchkreuzt, die damals San Cristóbal besetzte, um gegen die neoliberale Globalisierung zu protestieren.

Die Zapatistas kämpfen seitdem gegen die Armut der Indígenas in Mexiko, für ihren Sprecher Subcomandante Marcos ein Akt gegen den „Manchesterkapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts“. Weltweit gewannen die Zapatistas durch ihren Widerstand gegen die Auswirkungen der Globalisierung Sympathien. Dieser Protest im Süden wurde im Dezember 1995 ergänzt um landesweite Aktionen in einem Industrieland: Französische Gewerkschafter demonstrierten massenhaft gegen die Forderungen des konservativen Ministerpräsidenten Alain Juppé, der Rentenkürzungen, die Erhöhung der Lebensarbeitszeit und steigende Beiträge zur Gesundheitsversorgung anordnete. Die französische Regierung gab letztlich ihre Vorhaben auf.

Proteste wie die in Mexiko und Frankreich haben, so die These der Herausgeber des „Handbuches für Globalisierungsgegner“, vielen Menschen Mut gemacht und waren Anlass für die Gründung von Attac. Inzwischen agieren die Globalisierungskritiker weltweit gegen multinationale Konzerne und die mächtigen internationalen Finanzmärkte, die als Angelpunkt der Globalisierung gelten können. Sie beeinflussen weitgehend die ökonomische, soziale, politische und kulturelle Entwicklung der Welt. Die Devisenumsätze auf den Weltkapitalmärkten sind von täglich 80 Mrd. US-Dollar im Jahr 1980 auf heute rund 1,5 Billionen US-Dollar pro Börsentag angewachsen. Der Handel mit Finanztiteln ist weitgehend globalisiert. Fast 97 Prozent dieses Betrags dienen nicht der Finanzierung von Investitionen und Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern rein spekulativen Zwecken. Rechtliche Handelsbegrenzungen durch nationalstaatliche Gesetzgebung sind mehr und mehr abgeschafft worden.

Der Bremer Professor Jörg Huffschmid führt die Bedeutung der internationalen Finanzmärkte für die Durchsetzung neoliberaler Politikansätze vor: etwa bei der Riester-Privatisierung der gesetzlichen Rente und der Abschaffung der Gewinnversteuerung auf Unternehmensveräußerungen für Großkonzerne.

Von den 100 größten Wirtschaftseinheiten sind nur 49 Staaten und 51 Unternehmen. Diese Konzerne agieren über nationale Grenzen hinweg auf fast grenzenlosen Märkten. Von Regierungen fordern sie Deregulierungsmaßnahmen, die den Abbau von Investitions- und Handelsbeschränkungen und die Privatisierung staatlicher Unternehmen zum Ziel haben. Der Hochschullehrer Karl-Georg Zinn verdeutlicht, dass es sich bei der Globalisierung „keineswegs um eine unvermeidliche Entwicklung handelt, sondern dass sie politisch gemacht wurde – und im Prinzip auch wieder verändert werden kann“.

Gewarnt wird jedoch auch vor „falschen Freunden“. Nationalistische Gruppe versuchen sich durch Globalisierungskritik ein modernes Image zu geben. Attac muss selbstkritisch hinterfragen, inwieweit unklare Positionen „den Boden für Konzepte befördern, die mit Demokratie und internationaler Solidarität nichts gemein haben“, so Christian Christen.

Eine Chronologie der globalisierungskritischen Demonstrationen rundet das Handbuch ab und verdeutlicht, wie weit weltweite Bündnisse zwischen Umwelt-, Tierschützern, Eine-Welt-Aktivisten und Gewerkschaftern inzwischen gehen. Die Darstellung der aktiven Gruppen von Attac, über Kritische Aktionäre, die Internet-Aktivisten von Labournet bis zu X-tausendmal-quer-Proteste gegen Castor-Transporte ermuntern die Leser zum eigenen Engagement.

MARCUS SCHWARZBACH

Oliver Nachtwey u. a. (Hg.): „Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungsgegner“, KiWi, 9,90 €