Völkerrecht à la carte

Außenminister Fischer schließt ein deutsches Ja im UN-Sicherheitsrat zu einem Militärschlag gegen den Irak nicht völlig aus

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Mit seinem Interview im aktuellen Spiegel hat Bundesaußenminister Joschka Fischer ein deutliches Signal an die 14 Staaten gesendet, mit denen Deutschland ab Mittwoch im UNO-Sicherheitsrat in New York sitzen und in den nächsten Wochen wahrscheinlich wesentliche Entscheidungen über die Frage von Krieg oder Frieden am Golf treffen wird.

Fischers Botschaft

An die Adresse der beiden ständigen Ratsmitglieder USA und Großbritannien, die derzeit einen Krieg gegen Irak aktiv vorbereiten, lautet Fischers Botschaft: Deutschland wird im UNO-Sicherheitsrat einem Krieg gegen Irak zumindest nicht aktiv widersprechen; Deutschland wird diesen Krieg tolerieren, selbst wenn er nur auf Basis der bisherigen Irakresolution 1441 geführt würde; Deutschland wird nicht verlangen, dass der Rat zuvor eine zweite Resolution mit einer völkerrechtlich eindeutigen Ermächtigung zum Krieg beschließt; Deutschland wird einer solchen Resolution, sollte sie von Washington eingebracht werden, jedoch zustimmen. An die Adresse der ständigen Ratsmitglieder Frankreich, Russland und China sowie einer Mehrheit der zehn nichtständigen Mitglieder, die bislang auf einer zweiten Resolution bestanden, lautet Fischers Botschaft: Deutschland wird diese Forderung im Sicherheitsrat nicht unterstützen.

Zur Rechtfertigung dieser Haltung übernimmt Fischer zwei bis dato nur von der Bush-Administration formulierte Behauptungen. Danach wäre Resolution 1441 als völkerrechtliches Mandat für einen Krieg ausreichend. Zudem enthalte die Resolution keine Festlegung auf einen zweiten formalen Beschluss des Rates, sondern lediglich die Vereinbarung zu weiteren „Konsultationen unter den 15 Ratsmitgliedern“. Die erste Behauptung Fischers steht im klaren Widerspruch zur seit UNO-Gründung 1945 gültigen Interpretation ihrer Charta. Die zweite Behauptung ist zwar formal korrekt, unterschlägt aber, dass die zitierte Formulierung aus der Resolution 1441 lediglich ein kleinster gemeinsamer Nenner ist, der einen weiter bestehenden gravierenden Dissens zwischen den Ratsmitgliedern verdeckt.

Interpretation in Berlin

Die UNO-Charta erlaubt militärische Gewaltanwendung in zwei Fällen: als Akt der Selbstverteidigung eines Staates gegen einen Angriff (Art. 51) oder auf Grund eines Beschlusses des Sicherheitsrates, der die UNO-Staaten ausdrücklich zur Ergreifung „aller notwendigen Maßnahmen“ gegen ein Mitgliedsland ermächtigt, um den von diesem „bedrohten oder gebrochenen Frieden“ wiederherzustellen (Art. 42). Für Letzteres gibt es in der UNO-Geschichte nur ein Beispiel: die Resolution 678, mit der der Rat im November 1990 Irak ein Ultimatum setzte zum Abzug aus Kuweit bis 15. Januar 1991 und zugleich die UNO-Staaten ermächtigte, nach Ablauf dieses Ultimatums den Abzug der Truppen militärisch zu erzwingen.

Die am 8. November verabschiedete Resolution 1441 enthält keine derartige Ermächtigung. Frankreich, Russland, China und andere Ratsmitglieder insistierten bis zum Ende der dreimonatigen Verhandlungen über den Resolutionstext auf einen Passus, wonach der Rat im Falle einer von ihm festgestellten „substanziellen Verletzung“ der Resolution durch Irak etwaige militärische Maßnahmen gegen Bagdad in einer zweiten Resolution erst ausdrücklich beschließen muss. Da die USA und Großbritannien diesen Passus verweigerten, wurde schließlich die Kompromissformel von den „Beratungen zwischen den Ratsmitgliedern“ in den Resolutionstext aufgenommen.

Im Berliner Außenministerium wird dieser Kompromiss allerdings so interpretiert, dass Frankreich, Russland und China mit der Zustimmung zu dieser Formel ihre ursprüngliche Position bereits Anfang November aufgegeben und den USA und Großbritannien signalisiert hätten, sie bestünden nicht mehr auf einer zweiten Resolution. Von der taz befragte UNO-Diplomaten aus Paris, Moskau und Peking haben dieser Interpretation noch in den letzten zwei Wochen entschieden widersprochen.