Ein netter, kleiner Film

„8 Mile“: Eminem als Jimmy „Rabbit“ Smith. Der eigentliche Glücksgriff ist Regisseur Curtis Hanson

von HARALD PETERS

Der Begriff „weißer Rapper“ ist noch ein Gerücht, als Jimmy „Rabbit“ Smith (Eminem) 1995 in der Herrentoilette eines Detroiter HipHop-Clubs ängstlich in den Spiegel blickt, um sich auf ein Freestyle Battle vorzubereiten, das seiner Karriere auf die Sprünge helfen soll. Doch mit einer misstrauischen schwarzen Zuschauerschaft konfrontiert, verschlägt es dem blassen Rabbit im entscheidenden Moment die Stimme. Umspült von einer Woge der Häme tritt der traurige Held stumm von der Bühne, um sie etwa 100 Minuten später schließlich im Triumph zu nehmen. Vorhang und: Tusch!

Für sich genommen ist „8 Mile“ eine Mischung aus „Good Will Hunting“ (Drama), „Rocky“ (Sport) und „Purple Rain“ (Musik). Diese Mischung handelt tief im Innersten von dem Traum eines Weißen von Akzeptanz auf vorgeblich schwarzem Terrain und davon, dass Talent angeblich keine Farbigkeiten kennt. Mit einer soliden darstellerischen Leistung von Eminem und einigen ausgezeichnet gefilmten Rap-Battles wäre „8 Mile“ unter Umständen ein netter, kleiner Film.

Doch weil es „8 Mile“ für sich genommen nicht gibt, existiert diese fiktive Eminem-Biografie im Spannungsfeld zwischen dem, was man bereits über die Künstlerperson Eminem weiß, und dem, was der Film über die Eminem-Kunstfigur Jimmy Rabbit erzählt. Folglich scheint es, als würde sich Eminem in diesem Film selbst synchronisieren. Man erlebt zwei Eminems zur gleichen Zeit: Der eine ist irgendwie bekannt, der andere ist irgendwie ein bisschen neu.

Der bekannte ist der, der wie Eminem aussieht, sich wie Eminem bewegt und wie Eminem rappt. Der neue hat aus dramaturgischen Erwägungen panische Bühnenangst und zeigt sich ansonsten von einer so freundlichen Seite, dass sie selbst ärgste Eminem-Kritiker von Eminems Gutherzigkeit überzeugen sollte. Er ist nett zu seiner Mutter, kümmert sich rührend um seine kleine Schwester, kämpft für die Rechte Schwuler und benimmt sich überaus anständig in der Gegenwart von Frauen – also ganz anders, als man das von dem bekannten Eminem kennt. Andererseits, und hier hat der Film ein Problem, weiß man nicht so genau, ob Jimmy Rabbit überhaupt eine neue Eminem-Seite zeigt. Vielleicht ist Rabbit nur eine weitere Rolle, die Eminem nun neben seinen Identitäten Slim Shady und Marshall Mathers installiert? Vielleicht ist „8 Mile“ aber auch gar kein Eminem-Film im engeren Sinn, sondern lediglich ein Film, in dem Eminem die Hauptrolle spielt?

Da „8 Mile“ aber streng dem beliebten Genre der Ein-Held-geht-seinen-Weg-Filme verpflichtet ist, weiß man von der ersten Sekunde an: Auch dieser Held geht seinen Weg. Mag das Drehbuch vor ihm auch noch so viele Erschwernisse auftürmen, mögen sie wahlweise abgeschmackt, unlogisch und ungeschickt erscheinen – pünktlich zum Showdown wird er sein Ziel erreichen und auch den letzten Zweifler von seinen Reimkünsten überzeugen. Eminem/Rabbit wird endlich den Respekt erhalten, den er als Rapper verdient. Eminem kann in diesem Sinne von Glück sagen, dass er sich selbst für die Hauptrolle gewinnen konnte und damit einen Darsteller, der die Eminem-Rolle wie kein anderer versteht.

Der eigentliche Glücksgriff ist allerdings Curtis Hanson. Der Regisseur von Filmen wie „L.A. Confidential“ und „Die Wonder Boys“ beweist, dass sich selbst aus einem stümperhaften Drehbuch noch etwas machen lässt, wenn man ihm mit Gelassenheit und einer Portion Eigensinn begegnet. Weil er weiß, dass der Erfolg von Eminem schlicht zu komplex ist, um ihn auf eine Grundsätzlichkeit herunterzukochen, hält er das vom Drehbuch lancierte Schwarz-Weiß-Thema klugerweise nicht für verhandelbar und streift den Gegenstand lediglich mit einem kurzen Schwenk über Douglas Sirks Hautfarben-Identitätsdrama „Imitation Of Life“.

Auch HipHop scheint Hanson nur bedingt zu interessieren. Zwar mögen seine Protagonisten nichts anderes als Reime im Kopf haben, doch Hanson gönnt ihnen lediglich zwei wirklich großartig gefilmte Battle-Rap-Szenen und verwendet ansonsten viel Akribie darauf, das ohnehin kaputte Detroit von seiner ganz besonders kaputten Seite zu zeigen. Dank Rodrigo Prietos („Amores Perros“) Arbeit an der Kamera sieht das Städtchen daher aus wie eine angemessen unglamouröse Zusammenfügung aus Müllhalde und Beirut im Regen.

Als Popstar-Film ist „8 Mile“ daher zwar angenehm untypisch, doch als Spielfilm an sich ist er längst nicht so gut, wie alle Welt meint.

„8 Mile“. Regie: Curtis Hanson. Mit Eminem, Kim Basinger, Mekhi Phifer u. a., USA 2002, 110 Min.