Schmetterlinge fliehen vor Wärme

US-Forscher beweisen zum ersten Mal: Tiere und Pflanzen reagieren auf globale Erderwärmung. Reviere werden schneller verlegt denn je. Ökosysteme in Gefahr, weil einige Arten schneller wandern als andere und Lebensräume zerschnitten werden

von HANNA GERSMANN

Weil sich die Erde erwärmt, sind Pflanzen und Tiere gezwungen, neue Lebensräume zu erobern. Kohlmeise, Schmetterlinge oder etwa die Buche wandern ins Kühle. Die globalen Klimaveränderungen verändern die Natur. Das haben zwei US-amerikanische Forscherteams jetzt statistisch bewiesen. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature veröffentlichen sie ihre Ergebnisse. Die Autoren warnen: Ganze Ökosysteme kämen mit dem Klimawandel aus dem Gleichgewicht.

Schon immer mussten sich Tiere und Pflanzen in der Erdgeschichte an verändernde Klimabedingungen anpassen. Doch das jetzige Tempo ist neu, zeigen die zwei Studien: Tiere verlegen heute ihre Reviere im Schnitt alle zehn Jahre um 6,1 Kilometer. Das seien „signifikante“ Wanderungen, meinten die Wissenschaftler. Zumeist zögen Tiere in kältere Gebiete, also in Richtung der Pole oder in höhere Gebirgsregionen. Gleichzeitig kämen die so genannten Frühjahrsboten wie etwa die Zugvögel oder die Baumblüte früher: Jede Dekade schöben sie sich um jeweils 2,3 Tage weiter nach vorn.

„Jetzt ist statistisch untermauert worden, dass sich Pflanzen und Tiere auf den Klimawandel einstellen“, würdigte gestern Professor Wolfgang Cramer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung die Ergebnisse. Cramer ist Mitglied im UN-Klimagutachtergremium IPCC, das bereits vor einem Jahr darauf hingewiesen hatte, dass die globale Erwärmung biologische Systeme verändert.

Daten in Studien über mehr als 1.700 Arten haben die Forscher um die Biologin Camille Parmesan von der Universität in Texas ausgewertet. Darunter vor allem solche zu Pflanzen und Tieren, die schon seit Jahren genau beobachtet werden, wie Bäume, Schmetterlinge oder Vögel. Parmesan rechnet vor, dass die ökologischen Veränderungen in den letzten Dekaden zu 95 Prozent auf den Klimawandel zurück. So breiteten sich zum Beispiel in Europa Schmetterlinge immer weiter nach Norden aus und siedelten so in Gegenden, die früher für sie zu kalt waren. Und die Kohlmeise lege ihre Eier umso früher, je wärmer es werde, hätten Studien in Großbritannien gezeigt.

Allein in den letzten hundert Jahren ist die Temperatur um insgesamt 0,6 Grad Celsius angestiegen. Für das 21. Jahrhundert sagen Klimaexperten aber eine Erwärmung um zwei bis sechs Grad Celsius voraus. Zum Vergleich: 18.000 Jahre brauchte die Erde, um sich seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit um fünf bis neun Grad auf heutige Temperaturen zu erwärmen.

Entsprechend sagt Terry L. Root, Ökologe an der Stanford Universität in Kalifornien und Leiter des anderen wissenschaftlichen Teams: „Wenn wir schon jetzt solche dramatischen Veränderungen sehen, ist wirklich beängstigend, was uns in den nächsten hundert Jahren erwartet.“ Das Team um Root hat 143 Studien durchforstet. Er kommt wie Parmesan zu dem Schluss: In den nächsten Jahren können sich Ökosysteme dramatisch verändern. Einige Arten wandern beispielsweise schneller als andere, so könnten Nahrungsketten unterbrochen werden. Vor allem seien Tiere und Pflanzen aber auch deshalb gefährdet, so Root, weil neben den veränderten Temperaturen Lebensräume durch Straßen und Neubaugebiete zerschnitten oder ganz zerstört würden. So drohten manche Arten ganz zu verschwinden.