Italien lehrt …

Deutschland und Italien gelten als die beiden „verspäteten“ Nationen Europas. Anders als in Frankreich oder England bildete sich nicht schon in Mittelalter und Früher Neuzeit eine starke Zentralgewalt heraus. Als im 19. Jahrhundert das Zeitalter des Nationalismus anbrach, waren Deutschland und Italien noch in zahlreiche Kleinstaaten zersplittert.

Die Folgen dieser Entwicklungen prägen beide Länder bis heute. Zum Beispiel gibt es weder in Italien noch in Deutschland eine wirkliche Hauptstadt wie Paris oder London. Rom und Berlin sind zwar die politischen Zentren, sie spielen aber in der Wirtschaft des jeweiligen Landes nur eine untergeordnete Rolle.

Außenpolitisch hat diese Übereinstimmung nie zu jener Eintracht geführt, die auch die Politiker zunächst vermuteten. So trat Italien 1915 trotz des Dreibunds mit Deutschland und Österreich schließlich an der Seite der Alliierten in den Ersten Weltkrieg ein, und im Zweiten Weltkrieg wechselte das Land nach dem Sturz des Hitlerverbündeten Mussolini die Fronten.

„Italia docet“, Italien lehrt: Dieses lateinische Bonmot, das eigentlich den italienischen Juristen des Mittelalters galt, griff die deutsche Rechte in den Zwanzigerjahren auf. Der jungkonservative Publizist Arthur Moeller van den Bruck veröffentlichte unter diesem Titel einen Aufsatz, in dem er die Frage aufwarf: „Ist Fascismus in Deutschland möglich?“

Mit der Meinung, diese Frage ließe sich womöglich bejahen, blieb Moeller van den Bruck ziemlich allein. Gerade die politische Rechte war dem italienischen Diktator zunächst nicht gewogen, weil er in Südtirol die Deutsch sprechende Mehrheit unterdrückte. Dagegen gab es im bürgerlich-liberalen Lager derart ausgeprägte Sympathien für Mussolini, dass der Historiker Wolfgang Schieder von einem „ausgesprochen philofaschistischen Meinungsklima“ spricht.

Das Gros dieser Mussolinibewunderer lehnte den deutschen Nationalsozialismus scharf ab. Die tiefgründige Sympathie für den Umsturz in Italien trug jedoch dazu bei, dass die Machtübertragung an Hitler nicht als jene Katastrophe wahrgenommen wurde, die sie tatsächlich war. Auch Hitler bemerkte rückblickend zu Mussolinis Putsch: „Die Tatsache allein, dass man das machen kann, hat uns Auftrieb gegeben.“

Der gewinnenden Ausstrahlung des römischen Alleinherrschers erlag selbst der liberale Publizist Theodor Wolff, Namensgeber des wichtigsten bundesdeutschen Journalistenpreises und erbitterter Gegner der Nationalsozialisten. Er pries den Duce nach einem Interviewtermin in Rom als maßvollen Realpolitiker ohne „nationalistische Eitelkeit“.

Wohlwollend blickte auch das deutsche Großkapital auf die italienischen Faschisten, die sich – anders als Hitler und seine nationalsozialistische Elite – in den Augen der Unternehmer von ihren sozialistischen Wurzeln distanziert hatten.

Die deutschen Katholiken liefen nach Mussolinis Konkordat von 1929, das den Streit zwischen italienischem Nationalstaat und katholischer Kirche nach fast siebzig Jahren beendete, ohnehin ins Lager seiner Bewunderer über. Auch hier erwies sich Hitler als gelehriger Schüler. Der erste völkerrechtliche Vertrag, den er als Reichskanzler 1933 abschloss, war das Abkommen mit dem Papst. RAB