Konsum macht stark

Große Firmen entdecken in ihrem Marketing mehr und mehr Schwule und Lesben bewusst als Kundschaft. Das müssen sie auch – sind sie doch auch von deren Kaufkraft abhängig. Ein neues Buch hilft ihnen, Fehler zu vermeiden

von AXEL KRÄMER

Mit Schwulen wollte Jim Elliot eigentlich nichts zu schaffen haben. Für ihn und seine Kollegen waren das nur „Weicheier“, mit denen man sich keinesfalls solidarisierte. Doch dann kam der Automechaniker von einem Gewerkschaftstreffen, auf dem beschlossen wurde, im Wahlkampf ausgerechnet auf einen homosexuellen Kandidaten zu setzen. „Wie mach ich den Kumpels bloß klar, dass wir einen Homo unterstützen?“, grübelte Elliott auf dem Weg zurück in seinen Betrieb. Tatsächlich war das benachbarte Schwulenviertel für ihn bislang ein böhmisches Dorf.

Doch dann hörte er, dass dort aus sämtlichen Restaurants und Bars das Bier der berüchtigten Coorsbrauerei verbannt wurde. An Türen und Schaufenstern von Szeneläden hingen Plakate, die selbst flüchtigen Passanten den Sinn der Aktion vermittelten: Das Unternehmen soll sich der Homophobie und des Rassismus schuldig gemacht haben. Unter anderem warf man dem Konzern vor, homosexuelle Mitarbeiter bespitzelt und gekündigt zu haben.

Bald gab es in der Homoszene keinen, der davon noch nicht gelesen oder gehört hatte. Es herrschte eine, wie Marktforscher sagen würden, kommunikative Geschlossenheit, die von Unterstützung durch die Massenmedien unabhängig war. Wie von selbst drang die Botschaft nach außen und ließ den Boykott zum talk of the town werden.

Von einer so nachdrücklichen Demonstration wirtschaftlicher Macht zeigten sich Elliot und seine Kollegen schwer beeindruckt. Etwas Vergleichbares hatten die Gewerkschaften im Fall von Coors nicht zustande gebracht, obgleich die Brauerei wegen ihrer reaktionären Firmenpolitik schon seit Jahren auf ihrer schwarzen Liste stand.

An diese Geschichte erinnert sich Elliot in dem Dokumentationsfilm „The Times and Life of Harvey Milk“. Sie trug sich im San Francisco der Siebzigerjahre zu. Schwule und Lesben befanden sich in Aufbruchstimmung, es war die Zeit der radikalen Homobewegung. Und Harvey Milk war ihre Galionsfigur. Ein umtriebiger schwuler Mann mit politischen Ambitionen, der schließlich als erster offen homosexueller Stadtrat den schillernden Castro District vertrat. Und dem Elliot und seine Kollegen am Ende doch noch Respekt zollten. Vor allem für seine kalkulierte Militanz.

Wie kein anderer machte sich Milk die gesellschaftspolitischen Möglichkeiten des Konsums zunutze. Lange bevor er bei einem Attentat ermordet wurde, hatte er in einer Buy-Gay-Kampagne dazu aufgerufen, nur noch in Läden von Schwulen und Lesben zu kaufen. Zu diesem Zweck schlossen sich Geschäftsleute zur „Golden Gate Business Association“ zusammen. Fünf Jahre nach ihrer Gründung hatte sie sich zur mitgliederstärksten Wirtschaftsorganisation San Franciscos gemausert. Das ließ auch außerhalb der Community Industrie und Handel aufhorchen.

Inzwischen haben sich in vielen Unternehmen die Zeichen der Zeit verändert. Schwule und Lesben sind häufiger denn je ein Thema. Auch bei den Marketingstrategen von Coors. Milde lächelnd erinnert man sich an die Kämpfe von früher. An den angeblich frei erfundenen Vorwurf, „verdächtige“ Angestellte hätten einst ihre heterosexuelle Orientierung per Lügendetektor unter Beweis stellen müssen. „Da wurde vieles unterstellt, was nicht der Realität entsprach“, wiegelt ein Firmensprecher ab.

Schon unmittelbar nach dem Boykott habe die Chefetage bereitwillig die Forderung unterstützt, homosexuelle Mitarbeiter vor Diskriminierungen jeglicher Art zu schützen. Nun werde im Frühjahr sogar eine neue Anzeigenserie in Homoblättern geschaltet. Sie zeigt sechs Mitarbeiter Coors’, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen.

Stolz verweist das Unternehmen aus Denver darauf, seit Jahren zu den Vorreitern in Sachen Gay Marketing zu gehören. Und das nicht etwa, weil man sich von irgendwelchen positiv gewendeten Homoklischees blenden lässt. Nein, das Bild vom trendorientierten, besser verdienenden und konsumfreudigen Schwulen, der am liebsten Champagner trinkt, mag ohnehin nicht so recht passen zum ansonsten eher handfesten Image der Brauerei, die sich einst durch die Erfindung des Dosenbiers einen Namen gemacht hat.

„Wir wollen einfach nur gute Beziehungen zu Schwulen und Lesben pflegen“, formuliert es Rafael Fantauzzi, der von Coors mit der neuen Kampagne betraut wurde. Es gehe keineswegs darum, mit Homosexuellen künftig das große Geschäft zu machen. Das wäre als Wunsch ohnehin vermessen, denn die Marktanteile des drittgrößten Brauereiunternehmens der USA dümpeln innerhalb der Szene immer noch bei eben drei Prozent vor sich hin. Und das, obwohl mittlerweile Jahrzehnte seit dem Boykott vergangen sind. Verheilt scheinen die Wunden bis heute nicht.

Noch nachhaltigere Umsatzeinbrüche musste Philipp Morris zu Beginn der Neunzigerjahre hinnehmen. Der Tabakkonzern war durch eine Liaison mit dem homophoben Politiker Jesse Helms ins Gerede gekommen. Darum verhängte die Homobewegung damals einen Bannfluch. Und da die Szene inzwischen global vernetzt und der Kommunikationsfluss weit gediehen war, zog der Marlboroboykott auch international Kreise. Nicht lange dauerte es, bis der Konzern in die Knie ging, und noch Jahre danach war er um Schadensbegrenzung bemüht. Profitiert haben davon nicht nur Aidshilfeprojekte, sondern auch die Konkurrenz.

In Deutschland war es der Reemtsmakonzern, der aus dem Verlust von Philip Morris Vorteile zog. Wenn die Verärgerung der Schwulen zu einem so verheerenden Imageschaden führen konnte, dachte man sich beim Hamburger Rivalen, dann funktioniert das auch mit umgekehrter Stoßrichtung. So führten sie 1993 das Motiv einer symbolischen Schwulenhochzeit ein – acht Jahre ehe die Homoehe zur politischen Realität in Deutschland wurde.

Bemerkenswert war dabei vor allem, dass es nicht nur in Szenemagazinen, sondern auch an Reklametafeln von U-Bahnhöfen zu sehen war: „Pastor Norbert traute zwei Liebende“, war auf dem Plakat zu lesen. Versehen mit einer offiziellen Segnung der Marke „West“. In der deutschen Werbeindustrie machte die Aktion Furore. Galt hierzulande doch seit je das Motiv der traditionellen Familieneintracht als heilig, das um keinen Preis konterkariert werden durfte.

Viele Großunternehmen sind dem Beispiel des Tabakunternehmens Reemtsma nicht gefolgt – womöglich werden sie sich dem Druck ihrer Kundschaft aber nicht entziehen können. Denn auch wenn sich Schwule und Lesben innerhalb westlicher Gesellschaften immer weniger als Opfer von Diskriminierung fühlen, so ist zugleich ihr Selbstbewusstsein gestiegen. Und damit der Anspruch, auf allen medialen Ebenen präsent zu sein. Wie in der Werbung, die in den letzten Jahren einen Kultstatus erreicht hat und in der sie sich nur selten wieder finden. Meist wird dort ein immer noch einseitiges Bild der Wirklichkeit vermittelt: Mann trifft Frau oder Frau Mann, oder eine Familie kommt zusammen.

Das jedenfalls kritisieren der Unternehmensberater Michael Stuber und seine Mitarbeiterin Andrea Iltgen, die sich seit Jahren auf „Gay Marketing“ spezialisiert haben. Ihrer Meinung nach kommen Unternehmen künftig nicht umhin, die überkommene Strategie des Massenmarketing durch ein gezieltes Nischenmarketing zu ersetzen. Durch die traditionelle Werbung fühlten sich immer weniger Menschen angesprochen. Eine „subtile Form von Ausgrenzung“ nennen es Stuber und Iltgen etwa, wenn in den immer gleichen Werbespots eines Unternehmens weder Schwule noch Lesben vorkämen.

Durch „monokulturelles Marketing“ würden so die Firmen „wertvolle Potenziale“ verschenken. Dabei erwarte man von ihnen gar nicht unbedingt, „explizit schwul-lesbische Kommunikationsinhalte“ zu transportieren. Auch mit neutralen Inhalten erreiche man die unterschiedlichsten Zielgruppen.

Wie man es keinesfalls machen sollte, hat erst in diesem Sommer die österreichische Großmolkerei NÖM demonstriert. In einem TV-Werbespot texte das Unternehmen: „Mann und Frau, Frucht und Joghurt. NÖM fügt zusammen, was von Natur aus zusammengehört.“ Und trat damit direkt ins Fettnäpfchen. Denn viele Homosexuelle erkannten darin eine Botschaft, die ihnen von fundamentalistischer Seite immer wieder um die Ohren gehauen wird: die Unterstellung, ihre Beziehungen seien im Gegensatz zu heterosexuellen Bindungen widernatürlich.

Die Homosexuelle Initiative Wien (Hosi) protestierte daraufhin lautstark beim österreichischen Werberat. Dieser wollte in seiner Stellungnahme zwar keinen bösen Vorsatz erkennen. Trotzdem hat das Unternehmen mit seinem unbedachten Slogan vermutlich mehr Kunden vergrault, als es mit der gesamten Kampagne gewonnen hat.

AXEL KRÄMER, Jahrgang 1966, lebt und arbeitet als freier Autor in Berlin