Warum tust du es nicht endlich?

Seltsamer Humor junger Männer: Der Stuntman Steve O. – bekannt aus der MTV-Serie „Jackass“ – verletzt sich selbst vor laufenden Kameras. Seine DVD heißt recht passend „Don‘t Try This At Home“ und verkauft sich prächtig

Der junge Mann auf dem Videofilm ist nackt. Er kommt ganz nahe heran und blickt mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera. Er scheint besorgt zu sein. Er sagt: „Ich habe keine Ahnung, wie schmerzhaft das jetzt wird.“ Da sind noch andere, die johlen und lachen den jungen Mann jetzt aus. Doch der hat noch etwas zu sagen: „Alles, was ich weiß, ist, dass sich eine Menge Menschen ansehen wollen, was ich jetzt gleich tue.“

Die unsichtbaren Zuschauer werden ungeduldig. Einer ruft: „Warum redest du nur? Warum tust du es nicht endlich?“ Da hält der junge Mann kurz inne, und dann sagt er: „Okay, dann mach du es mit mir.“ Und dann kommt einer mit einer Tackerpistole auf den jungen Mann zu und tackert sein Skrotum am linken Oberschenkel fest. Der junge Mann heult auf, es tut ihm verdammt weh, er ruft: „Nein, nicht noch die zweite Seite!“ Dann nimmt er selbst die Tackerpistole in die Hand und vollendet den Job. Gekrümmt steht er da. Die Zuschauer freuen sich.

Diese Szene erinnert von Ferne an die Internet-Opfersuche des Menschenfressers aus Hessen: Auch hier war unter Kannibalen und Möchtegern-Kannibalen der oft geäußerte Hinweis, das, was man sagt, ernst zu meinen und „es“ wirklich tun zu wollen, ein immer wiederkehrendes Motiv. Auch hier wurde die Tat auf Video aufgenommen – ein Videofilm, über den der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg im Spiegel gesagt hat: „Nicht wenige Menschen in Deutschland würden viel Geld bezahlen, um ihn anzuschauen.“

Die eingangs geschilderte Tacker-Szene hingegen kann jeder sehen, der will, und das für vergleichsweise billiges Geld: Es handelt sich um eine kommerzielle DVD aus dem Hause Edel-Records, welches abgesehen von dieser Schockerproduktion (freigegeben ab 18 Jahren) jüngst auch durch die Veröffentlichung eines Albums mit Weihnachtsliedern, gesungen von Uschi Glas (ohne Altersbeschränkung), aufgefallen ist.

Der Protagonist der Selbstverletzung ist ein gewisser Steve O., ein 28-jähriger amerikanischer Stuntman, der es durch seine Mitwirkung an der MTV-Fernsehsendung „Jackass“ zu gewisser Berühmtheit gebracht hat. „Jackass“ ist eine Art verschärftes „Pleiten, Pech und Pannen“ ohne Max Schautzer: Hier sind junge Männer zu sehen, die mit zumeist nacktem Oberkörper waghalsige Kunststücke jenseits aller Geschmacksgrenzen vorführen. Das Genre stammt aus der Skateboarderszene: Mit Videoaufnahmen von wilden Fahrten und gewagten Sprüngen verschafft man sich Respekt und (durch den Verkauf der Videos) ein Einkommen. Immer beliebter wurden dabei Zusammenschnitte von spektakulären Stürzen, so beliebt, dass diese schließlich inszeniert und dann ganz aus dem Skater-Zusammenhang genommen wurden. Skateboards tauchen in „Jackass“ zwar noch auf, aber nur am Rande. Hauptfigur und Frontmann ist ein Mann namens Johnny Knoxville. Die Sendung ist so erfolgreich, dass es bereits eine Kinoversion der Teenagerscherze gibt – ab Februar auch in deutschen Kinos.

Steve O. war es offenbar nicht genug, im Schatten von Johnny Knoxville zu stehen. Er hat eine eigene DVD herausgegeben, angefüllt mit Material, das für MTV nicht sendetauglich ist: Meist lediglich angetan mit einem leopardenfellgemusterten Slip lässt er sich Wodka intravenös spritzen, lässt sich als menschliches Urinal gebrauchen oder stellt sein Hinterteil als Dart-Zielscheibe zur Verfügung. Mit derartigen Aktionen geht er auch auf Tour. Im Februar ist er in England zu Gast.

Warum Steve O., warum? Er selbst sagt im Video, dass er keinen Bock auf Schule und Arbeit hat und es deshalb tut. Dann lacht er debil. Vielleicht ist das nur gespielt. Es gibt eine Szene im Video, da schleicht sich Steve O. in das Büro seines MTV-Produzenten Scott Potasnik und masturbiert auf dessen Schreibtisch. Die Aufnahmen dieser Aktion sind gegengeschnitten mit der Aufnahme des Wutanfalls Potasniks, als dieser davon erfährt. In seiner wütenden Tirade wirft er Steve O. Größenwahn vor und bezweifelt lautstark, dass irgendjemand sehen will, was er da tut, jedenfalls niemand auf MTV, denn MTV sei Mainstream-TV. Ein derartig selbstreferenzieller Jackass-Sketch spricht fast schon für die Existenz eines metamedialen Konzepts – vergleichbar dem eines Rainald Goetz, der sich vor bald zwanzig Jahren in Klagenfurt die Stirn aufgeritzt hat, um die literarische Fiktion mit einer realen Selbstverletzung zu kontrastieren.

Steves Gründe sind aber wohl doch etwas banaler. „Macht es dich scharf, solche Sachen vor anderen Leuten zu tun?“, wurde er kürzlich im MTV-Interview gefragt. „Oh ja“, hat er geantwortet. Enttäuschte Fans ärgern sich im Internet bereits darüber, zwanzig Dollar Eintritt dafür gezahlt zu haben, Steve O. dabei zusehen zu dürfen, wie er sich an den Sack fasst und anderen Leuten – Freiwilligen aus dem Publikum – in den Hintern tritt. Einer ist dabei so hart auf den Kopf gestürzt, dass er den Performer nun verklagen will.

In Louisiana wäre Steve O. fast im Gefängnis gelandet, weil er sich das Skrotum auch live on stage getackert hat. Demnächst gibt es wahrscheinlich auch hier ein Video von der Tour zu kaufen. In den USA ist es schon erhältlich. Dort sind – behauptet Steve O. – bereits am Erscheinungstag über 40.000 Exemplare über den Ladentisch gegangen. STEFAN KUZMANY

„The Steve-O-Video. Don’t Try This At Home. Known from the TV-Show Jackass“. DVD, 58 Minuten