Herz und Finsternis

Wenn der Kanzler Würstchen spendiert und eine Dogge in die Spree pinkelt: Mit seinem aktuellen Erzählband „Von den Deutschen“ unternimmt Georg Klein eine Reise in die finstere Mitte der Nation

von KATHARINA GRANZIN

Dunkel ist’s. Wenn man die Texte in Georg Kleins Erzählungsband „Von den Deutschen“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen wollte, dann bliebe wohl außer den Deutschen vor allem die Dunkelheit. Die beginnt schon auf dem Einband, auf dem sich vor tiefbraunem Hintergrund ein schwächlicher Regenbogen abzeichnet. Caspar David Friedrich, dessen Werk hier ein Detail entliehen wurde, ist kein schlechter Ahnherr für Georg Klein. Hätte Klein im 19. Jahrhundert gelebt, er hätte wohl mit Inbrunst die deutsche Romantik – und das Deutschsein – miterfunden.

Doch das literarische Kreisen um die Nation an sich ist mit gutem Grund aus der Mode gekommen. Dass Klein es dennoch wagt, verdankt sich einerseits seinem guten Namen, zum anderen aber auch der großen Uneigentlichkeit, mit der die siegreiche Postmoderne die Künste durchtränkt hat. Sie lässt dem Autor die Freiheit, literarisch ganz ernsthaft das „Deutsche“ zu suchen und dieses Anliegen doch gleichzeitig in unverbindliche „Gänsefüßchen“ zu setzen. Das Uneigentliche nämlich ist Kleins eigentliches Element: das Baden in literarischen und historischen Bezügen, die, anzitiert und travestiert, eine Art Ursuppe der surrealistischen Klein’schen Erfindungskraft bilden.

Mit dem programmatisch größtmöglichen Kontrast beginnt die erste Erzählung: Im gleißenden Licht der Aussichtsplattform auf dem Chicagoer Sears Tower wird der Blick zunächst auf die lichtdurchflutete Weite gelenkt, sodann aber auf eine – von oben gesehen – winzige Einzelheit: „Die Baracken, die ich meine, sind als ein kleiner, aber deutlicher schwarzer Fleck […] zu erkennen.“ Steckt dann der Leser seinen „kostbaren Kopf durch denselben Türstock ins Finstere“, wird man in die entlegensten Winkel der deutschen Seele geführt. Ein Nazi-Devotionalienshop in den Chicagoer Baracken dient als Vorbühne, das Teetrinken aus einem Albert-Speer-Service als Vorspiel für eine Nummernrevue von Miniaturen aus der deutschen Dämmerung. Man folgt Kleins Figuren in die schlechten Lichtverhältnisse von Hinterzimmern, Altersheimen, Kellerlöchern, Bauwagen und Brunnenschächten. Und was man da im Zwielicht hört, ist ein hinter den Gänsefüßchen doch deutlich wahrnehmbares, trotziges „Sag ja!“. „Ja“ zur deutschen Sprache. Und ein „Ja, aber“ zur deutschen Geschichte: In der mit Abstand besten Erzählung des Bandes, „Old Erfurt“, entwickelt der Junggeselle Waldemar, zum Aufbau Ost im Erfurter Exil, eine seltsame Bindung an ein altes Waschbecken und die darin lebenden goldenen Würmchen („die einzigen Freunde, die er im Osten gefunden hatte“). Diese Reinkarnation des E. T. A. Hoffmann’schen „Goldnen Topfes“ führt ihm eine Deutsch-Amerikanerin zu, deren Vater mit einem deutschen U-Boot einst nachts vor der Golden (!) Gate Bridge auftauchte. Des Vaters alte Armbanduhr spielt „Erzgebirglers Heimatlied“.

Das alles ist ziemlich abgefahren und natürlich glänzend geschrieben. Und man liest es voller Misstrauen, weil man sich – das ist Programm – allzuoft ins Dunkle gelockt und dann stehen gelassen fühlt. Was etwa ist zu halten von der „Spree Novelle“: Vor dem neuen Kanzleramt tritt die Männer-Kleinkunsttruppe „Historical Harmonists“ mit lebenden Bildern der Altkanzler auf. Der Kanzler gibt Würstchen für alle aus. Seine Gattin lässt sich von den Männern füttern. Eine deutsche Dogge pinkelt die nächtliche Spreeböschung hinunter. Ist das nun ein verschämtes „Ja“ zur „Berliner Republik“ unter ironischer Zuhilfenahme schlechter Metaphorik?

Kaum weniger misstrauisch entlässt uns die titelgebende letzte Geschichte ins eigentliche Leben. Mit dem Satz: „Wir hier im Schutzgebiet, wir lieben die Deutschen“ beginnt und endet sie und spielt nach dem Ende eines Krieges in allerjüngster Zeit. Entgegen alle Lesegewohnheit treten die Deutschen nicht als Besatzer (reingefallen!), sondern als Schutztruppe auf. Keine fiesen Nazi-Landser, sondern langweilige Trottel, die nicht singen können, sind diese Soldaten, lassen sich aber auch die buckligsten Bräute noch anhängen. – Na ja! Wenn dies das Bild ist, das andere von uns haben, dann ist das doch gar nicht so schlecht, scheint es von tief aus dem Büchlein heraus zu rufen. Aber wahrscheinlich haben wir uns auch da bloß verhört. Denn irgendwie stehen wir immer noch da und haben den kostbaren Kopf im Finstern. Und wozu eigentlich?

Georg Klein: „Von den Deutschen“. Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002, 192 Seiten, 16,90 €