Best of YBN

Alle zehn Jahre bestimmt die Literaturzeitschrift „Granta“ die 20 besten NachwuchsautorInnen. Jetzt gibt es die Namen für die nächste Dekade

von CHRISTIANE ZSCHIRNT

Es war nicht gerade weißer Rauch, der am 5. Januar über der literarischen Landschaft Großbritanniens aufstieg, als die Liste der Best of Young British Novelists (BoYBN) erschien. Unter der Ägide der angesehenen englischen Literaturzeitschrift Granta wurden die Namen der zwanzig begabtesten britischen AutorInnen veröffentlicht, die das literarische Leben der Insel in den nächsten zehn Jahren bestimmen sollen. Bereits zweimal zuvor, 1983 und 1993, hatte es eine solche Liste gegeben. In diesem Jahr wurde die Frage nach der Zukunft des englischen Romans zum dritten Mal gestellt.

Die Antwort oblag einer 5-köpfigen Jury, der, neben dem Herausgeber von Granta, Ian Jack, die beiden Literaturkritiker Robert McCrum (Observer) und Alex Clark (Guardian, London Review of Books), der Marketingexperte Nicholas Clee (Herausgeber des Bookseller) sowie die Schriftstellerin Hilary Mantel angehörten. Seit vergangenem September hatten sie sich durch einen Berg von Romanen gearbeitet: 50 Titel junger AutorInnen, die einen britischen Pass besitzen und nicht älter als vierzig Jahre sind. Stets auf der Suche nach dem großen, ehrgeizigen Wurf, nach dem verblüffenden Spiel der Fantasie, nach Souveränität des sprachlichen Ausdrucks und – nach Leserfreundlichkeit.

Haben sie etwas davon gefunden? Offenbar ja. Die große Überraschung heißt Monica Ali. Die Jury befand, ihr unveröffentlichtes Manuskript einer postkolonialen Familiensaga, „Brick Lane“, sei so gut, dass die bislang völlig unbekannte Ali seit Sonntag zu den besten AutorInnen des Landes zählt. Die zweite (nicht ganz so große) Überraschung war die einhellig hohe Meinung der Juroren von den schreibenden Frauen: Wunderkind Zadie Smith, die ihren ersten Roman „Zähne Zeigen“ (2000) im Alter von 25 Jahren veröffentlichte und seitdem als die Hoffnung der britischen Literatur gilt, stieß auf ebenso wenig Widerstand wie Booker-Prize-Kandidatin und Lieblingsautorin der Jury, Sarah Waters („Fingersmith“, 2002), sowie A. L. Kennedy („Alles, was du brauchst“, 2002), die schon 1993 zu den BoYBN gehört hatte.

Unter den männlichen Kandidaten sorgte Hari Kunzru in der jüngsten Zeit für das größte Aufsehen, als er maßlose 1,25 Millionen Pfund Vorschuss auf seinen Roman „Die Wandlungen des Pran Nath“ (2002) erhielt – ein gekonntes, üppiges Epos zwischen allen Welten, das sich jedoch derart virtuos dem Globalisierungszeitgeist einfügt, dass viele KritikerInnen davon eher genervt als beeindruckt waren. Wenig Streit gab es über die beiden ehemaligen Booker-Prize-Anwärter David Mitchell („Number 9 Dream“, 2002) und Andrew O’Hagan („Our Fathers“, 1999).

Zahlenmäßig überwogen die Männer am Ende dann doch, wie die Liste zeigt: Monica Ali, Nicola Barker, Rachel Cusk, Peter Ho Davies, Susan Elderkin, Philip Hensher, A. L. Kennedy, Hari Kunzru, Toby Litt, David Mitchell, Andrew O’Hagan, David Peace, Dan Rhodes, Ben Rice, Rachel Seiffert, Zadie Smith, Adam Thirlwell, Alan Warner, Sarah Waters und Robert McLiam Wilson.

Jurorin Hilary Mantel erklärte, vielleicht sei diese Auswahl insgesamt schwächer als die der letzten beiden Jahrzehnte. Sie übte scharfe Kritik an den Verlagen: Es werde zu viel zu leichtfertig veröffentlicht. Einige Namen befänden sich in diesem Jahr nur auf der Liste, weil die Konkurrenz nicht sehr groß sei.

Seit die Top 20 der Literatur 1983 eingeführt wurde, ist sie zu einer umstrittenen, wenn auch prestigeträchtigen Institution des englischen Literaturbetriebs geworden. Zwar reicht ihr Renommee längst nicht an das Ansehen des Booker Prize heran, der jedes Jahr an einen herausragenden Roman aus Großbritannien bzw. den Commonwealth-Staaten vergeben wird. Doch die Auserwählten der diesjährigen Granta-Liste werden in wenigen Wochen das Gütesiegel „Best of …“ auf den Schutzumschlägen ihrer Bücher führen. Und dies ist auf einem unübersehbar gewordenen Markt der Unterhaltungsmedien ein unschätzbarer Vorteil.

Die Geister scheiden sich allerdings an der Frage, ob dies zum Segen oder zum Verderb der Literatur geschehe. Was für die einen nach einer bloßen Marketingkampagne aussieht – einer Art Modenschau Möchtegern- Schriftsteller im Gewand seriöser Literaturkritik –, ist für die anderen eine ernst zu nehmende Bestandsaufnahme der Gegenwartsströmungen: der Moment, in dem offen gelegt wird, wie gut oder schlecht die Literatur gerade ist.

Ursprünglich war die Bestenliste der Nachwuchsliteratur nichts anderes als eine Verkaufskampagne des British Book Marketing Council. Die Organisation dachte sich 1983 die Best-of-Kampagne aus, um die Umsätze zu steigern. Zur selben Zeit mauserte sich Granta zu Großbritanniens intellektueller Zeitschrift für neue Literatur. Das Magazin gab eine Anthologie der Best-of-1983-Autoren heraus. Und damit schrieb es ein kleines Kapitel Nachkriegsliteraturgeschichte, denn es dokumentierte die Kreativität einer außergewöhnlichen Generation. Die 20 AutorInnen entpuppten sich als nahezu sagenhaft begabt. Zu ihnen gehörten imposante Gestalten wie Martin Amis, Julian Barnes, Ian McEwan, Salman Rushdie und Graham Smith. Schriftsteller, die bis heute die britische Gegenwartsliteratur überragen.

Zehn Jahre später, 1993, wurde die Liste zum zweiten Mal zusammengestellt. Diesmal war die anschließende Kritik vernichtend. Mittlerweile hat sich jedoch auch diese Auswahl bewährt und Hanif Kureishi, Philip Kerr, Lawrence Norfolk, Esther Freud gehören zum literarischen Establishment.

Wie gut oder schlecht die zwanzig SchriftstellerInnen sind, die am vergangenen Sonntag geehrt wurden, wird sich in ein paar Jahren zeigen. Immerhin verbindet sich mit der glamourösen Auszeichnung auch ein solider Gedanke: die Bewährung in der Zukunft.

Informationen über die AutorInnen unter www.granta.com. Im April 2003 wird Granta einen Band mit Texten der Gewinner herausbringen; ca. 16 €