Gleichungen für Gott und Sex

Ein katholischer Beigeschmack: „Gleissendes Glück“, Henner Kallmeyer inszeniert im Schauspiel Hannover die Uraufführung nach dem Roman von A. L. Kennedy

Wenn alles nur eine Frage der Chemie ist, in unseren Körpern und in unseren Hirnen, dann liegen die chemischen Gleichungen für Gott und Sex vielleicht gar nicht so weit auseinander. Zumindest, wenn es um den trostlosen Zustand der Bedürftigkeit geht. Diese Vermutung jedenfalls beschäftigt Mrs. Brindle, die Hauptfigur in dem Roman „Gleissendes Glück“ von A. L. Kennedy, der jetzt in einer Bühnenfassung von Henner Kallmeyer (Regie) und Thomas Laue (Dramaturgie) in Hannover uraufgeführt wurde.

Als ich den Roman zu lesen begann, war es Sommer, und vor der Parkbank, auf der ich saß, legten die Paare im Gras mehr und mehr ihre Kleidungsstücke ab. Ich konnte dort nicht weiterlesen. Denn der Text zieht einen in eine unangenehme sexuelle Obsession hinein, die den Blick über die Körper im Gras voyeuristisch befrachtet. Es gibt einen Moment in dem Roman, da fühlt man sich – nicht anders als die nach körperlicher und spiritueller Liebe hungernde Mrs. Brindle – als Leser missbraucht. Edward E. Gluck, der Mann, der sie aus ihrer terroristischen Ehehölle befreien könnte, gesteht ihr seine Abhängigkeit von Hardcore-Pornografie.

Die Erinnerung an die Empörung, für dieses Geständnis auch noch ein pädagogisch korrektes Mitgefühl abverlangt zu bekommen, kehrt wieder in der Inszenierung: Aber diesmal ist es einfacher, sich an Mrs. Brindle und ihren Schrecken zu halten. Oda Thormeyer sitzt in dieser Rolle nahe vor den Zuschauern der Cumberlandschen Galerie, einem Nebenspielort des Schauspielhauses, auf den Stufen des alten Treppenhauses. Er (Fabian Gerhardt) und seine am Rande des Selbstekels balancierende Stimme füllen den ganzen Raum. Sein Körper, der auf Stufen und Treppenabsätzen ab und zu sichtbar wird, wirkt nur noch wie ein schlappes Anhängsel seiner Not. In ihr erlischt alle Vorfreude und Leichtigkeit, die ihr eben noch das Versprechen auf die Liebe gegeben hat. Seine Hilflosigkeit schiebt ihr alle Verantwortung zu. Keine Frage, die Inszenierung steht ganz aufseiten der Frau, die sich Liebe und Sex erst durch therapeutische Geduld verdienen muss.

Es ist dieser katholische Beigeschmack, der an Roman und Stück irritiert. Die Figuren geben sich zwar Mühe, ironisch ihre Distanz zu ihrer einstigen Konditionierung zu markieren, die den Weg zur wahren Liebe mit Leiden belegt hat, aber ihre Geschichte gibt dieser Logik wieder Recht. Die Dialoge geißeln mit viel Witz den irrwitzigen Glauben, Glück und Erfüllung sei eine Frage der Therapie. Edward E. Gluck ist in seiner ganzen Anlage eine ziemlich gelungene Karikatur moderner Heilsversprechungen. Denn gerade er, der mit Vorträgen über die bewusste Steuerung des Glücksempfindens sein Geld verdient, hat die eigenen Wünsche so gar nicht im Griff. Doch je mehr seine Fassade zerbröselt, desto heftiger stechen die Wegweiser nach Gott ins Auge, die seine Antagonistin sucht.

Es ist schon merkwürdig: Aber dieses Umkreisen einer Leerstelle drängt sich in der Bearbeitung von Roman- und Theaterliteratur auf der Bühne – leise, leise zwar, aber stetig – immer weiter vor. Der Spielort Cumberlandsche Galerie bietet dafür einen Rahmen, an dem Regisseur Henner Kallmeyer leichthändig ausbalanciert, was auf großer Bühne schnell in Pathos abgleiten könnte: Das alte Treppenhaus mit abblätternden Deckenbildern und Stuckfiguren, denen die Köpfe fehlen, ist selbst schon so ein Ort, der das Auskosten des Wehmütigen erlaubt, weil er so marginal und so romantisch ist in seinem Verfall. Man sitzt unbequem und eng, ein bisschen zugig. Das erhöht die Bereitschaft zur Komplizenschaft mit den Figuren, die für das Eingeständnis ihre Defizite geliebt werden wollen.

KATRIN BETTINA MÜLLER