Punktgenau gegen die Spießer

Die Lebenswege der „68erinnen“ unterscheiden sich kaum von denen ihrer männlichen Genossen

Die Frauen sind auch nicht mehr die Jüngsten. Die echten „68erinnen“ erst recht nicht, denn sie waren zur Zeit der legendären Studentenrevolte vor 35 Jahren erwachsen, viele schon vor dem mittlerweile legendären Stichjahr politisch aktiv. Ihre Lebensgeschichten sind oft nicht geradlinig und sehr anschaulich. Daher wollen sie gut erzählt sein. Die Interviews aber, die die Historikerin Ute Kätzel, Stipendiatin des Berliner Senats, geführt und für ihr Buch „Die 68erinnen“ zu 14 Frauenporträts verarbeitet hat, klingen zwar fast wie Originalton, aber sind es eben nicht. So langweilig, wie sie bei Kätzel daherkommen, sind die Frauen wahrscheinlich ihr Leben lang nicht gewesen.

Das ist die Crux von Kätzel. Die Gespräche, eigentlich zu schade, um in den Ablagen und Archiven wissenschaftlicher Institute wieder vergessen zu werden, sind eben noch lange kein Buch. Das lässt die vorgegebene Form wissenschaftlicher Befragung, die immer wieder das Gleiche wissen will, nicht zu. So tun sich die Interviewten wohl ohne eigene Schuld schwer damit, lebendig zu erzählen. Manche scheint allerdings auch der in der einen oder anderen orthodoxen kommunistischen Gruppe angelernten sprachlichen Reduktion noch immer unterworfen zu sein. Die je zwanzig Seiten langen Lebensberichte sind lehrreich, erstarren aber in der Form. Einiges liest sich auch, als sei es bis zum Allgemeinplatz vom gesprochenen ins lesbare Wort transformiert und geglättet. „Ich denke“, sagt eine, „dass die Errungenschaften des Aufbruchs von 1968 vieles angestoßen und später in vielem gewirkt haben.“ Ach ja?

Den Voyeurismus, ein guter Grund schließlich, warum frau Biografien liest, befriedigen die Interviews nur sehr am Rande. Und unsereine erkennt sich zwar durchaus ein Stück weit wieder, die wirklich spannenden, verschlungenen Wege, auf denen das Politische privat wurde und vice versa, verschwinden aber hinter dem Bemühen um Allgemeingültiges. Wie war das doch damals mit den Kommunen, den Wohngemeinschaften, der freien Liebe, dem Gefühl, dem Abenteuer Widerstand und der Politik? Bei Fronius so: „Die sexuelle Revolution hat uns alle überfordert. Wir gingen schnell miteinander ins Bett, doch dort geschah nicht viel Aufregendes.“ Eben!

Nicht alles klingt so staubtrocken. Das Kinderkacke-Attentat auf die Berliner Stern-Redaktion, an das sich Annette Schwarzenau (59) erinnert, dürfte heute zwar vermutlich auf die nachgeborenen Neugierigen, die wissen wollen, wie es die Oma trieb, nicht mehr so sonderlich komisch wirken. Zu seiner Zeit aber war es eine unerhörte Provokation, denn da sprach eine wohlerzogene junge Dame das Bäh-Wort nicht einmal aus.

Wer das nicht weiß, nicht miterlebt hat – in einer anderen Generation zu einer anderen Zeit –, kann die Brisanz der Aktion oder die barbusigen Demonstrationen der SDS-Frauen nur schwerlich nachvollziehen. Der Anschlag von jungen Müttern, die selbstbestimmt leben, sich gemeinsam aus der gesellschaftlich determinierten Zuständigkeit für Kinder, Küche, Kirche befreien wollten, zielte damals punktgenau auf die spießige Etikette der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft.

Die Porträts beschreiben authentisch, dass viele der 68er-Frauen nicht wie die Männer über Theorie und Hörsaal, sondern durch die Liebe, wegen ihrer moralische Entrüstung über Aufrüstung und Vietnamkrieg, 1968 dann wegen der Schüsse auf den Studentenführer Rudi Dutschke in die Politik rutschten. Viele standen anfangs schüchtern und redegehemmt am Rande, hörten zu, wie die männlichen Kommilitonen, Freunde, Ehemänner schwadronierten und am Rad der Weltgeschichte drehten. Kätzels Interviewpartnerinnen lassen das anklingen, auch wenn einige von ihnen schon damals selbstbewusste Solitäre waren. Die Domäne vieler aktiver Frauen in der Revolte und in den Folgejahren wurde der Reproduktionsbereich. Die Künstlerin Elke Regehr bringt das auf den Begriff, was Frauen, die alles, nur nicht so werden wollten wie ihre Mütter, damals umtrieb: „Fremdbestimmt sein ist aber eine Form des Totseins.“

Bemerkenswert an den Biografien ist die Ablesbarkeit der emanzipatorischen Bedeutung der Revolte für das spätere Rollenverständnis der Frauen. Die Geschichte hat sich in der Gesamtgesellschaft geschlechtsspezifisch nivelliert. Ihre Lebenswege unterscheiden sich zum Beginn des neuen Jahrtausends und nach über 30 Jahren kaum noch von vielen ihrer einstigen männlichen Genossen. Sie sind ebenso wenig geradlinig, aber erfolgreich. Schwarzenau, einst stramm kommunistisch organisiert, wurde zur Gewerkschafterin und Stadträtin für die Grünen und fühlt sich bis heute nirgendwo daheim. HEIDE PLATEN

Ute Kätzel: „Die 68erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration“. 317 Seiten, Rowohlt Berlin, Berlin 2002, 22,90 €