Mücken zur Wahl, Vögel an die Post

Skurril: „Twains Tierleben“ versammelt Mark Twains Verhandlungen mit seinen Pferden, Kamelen und Krähen

Mark Twain war Reisender, Forscher und Autor. Auf seinen Reisen stand er stets in intensiven Verhandlungen mit seinen Reittieren, Kamelen und sehr eigenwilligen Pferden, wie jetzt in „Twains Tierleben“ nachzulesen ist. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Maxwell Geismar hat Twains Tiergeschichten 1976 aus den unterschiedlichsten Quellen – Romanen, Satiren und Reiseberichten – herausgelöst und zu einer Enzyklopädie zusammengestellt, die jetzt bei Rogner & Bernhard (bei Zweitausendeins, Berlin 2002, 15,90 €) auf Deutsch erschienen ist. Man liest von neuseeländischen Rennvögeln, die vor der Eisenbahn für den Postverkehr zuständig waren, von Mücken, die bei dem Versuch beobachtet wurden, zur Wahl zu gehen, und Kojoten, die jeden Hund bei einem Rennen abhängen.

In Indien lernte Twain Krähen kennen, die ohne Scham in seiner Gegenwart diskutierten, „warum man mich nicht längst gehängt habe“. Twain war ein Moralist, der den Blick auf die Tiere immer wieder nutzte, den Hochmut und die Dummheit der Menschen zu beschreiben und die Tiere als Opfer eines zweifelhaften Fortschritts. „Die Welt wurde schließlich für den Menschen erschaffen – für den Weißen, wohlgemerkt“, endet seine Geschichte von der Ausrottung des Dingo und er kann sicher sein, dass man ihm nicht glaubt.

Gegen die These von der Überlegenheit des Menschen setzte er Experimente und vergleicht die mörderische Jagdlust eines Earl mit dem Instinkt einer Anakonda, die nicht mehr Kälber tötet, als sie fressen kann: „Somit stand fest, dass Earl und Anakonda sich insofern voneinander unterscheiden, als der Earl grausam ist und die Anakonda nicht.“ Über diese Instrumentalisierung als Hilfspersonal seiner Zivilisationskritik hinaus reizen die Tiere den Fabulierer Twain immer wieder, die Welt des Wahrscheinlichen zu verlassen und in skurrilen Anekdoten fantastische Kapriolen zu schlagen. Christian Farner hat das Buch nachträglich mit nostalgischen Bildern versehen, voller Sehnsucht nach einer Zeit, als Poesie und Wissenschaft noch nicht so scharf voneinander getrennt waren. KBM