Am Filmset der Geschichte

Der Pulp-Autor, New Journalist und Blaxploitation-Spezialist Darius James hat ein neues Buch veröffentlicht: „Voodoo Stew“ versammelt Essays und Storys rund um die schwarze Popkultur und ihre Mythen – vom Radical Chic der Black Panthers über Pam Griers Frisur bis hin zum Tod von Jimi Hendrix

von ANDREAS HARTMANN

Darius James ist so etwas wie ein Kultautor. Sogar Johnny Depp ist ein Fan von ihm, erfährt man in seinem neuen Band „Voodoo Stew“. Depp war begeistert von „Negrophobia“, James’ Pulp-Roman, in dem ein blondes Mädchen von seiner Küchenmagd mit einem Voodoo-Fluch belegt wird und in eine Welt voller bizarrer Rassismusvisionen katapultiert wird. Hier trifft sie auf Ninja-Queens und crackverseuchte Homeboys, auf „Dr. Mengele Duck“ und auf einen verdrehten Walt Disney, der Amerika endlich von den Schwarzen befreien möchte.

„Negrophobia“ erschien 1992. Wie viel LSD Darius James damals genau zu sich genommen hat, um sich eine derartige Stofffülle auszudenken, ist nicht bekannt. Aber dass er sich mit dem Konsum wirrer Filme, Parliaments Comic-Funk-Platten und afroamerikanischem Pulp der Sechziger und Siebziger wie „The Life and loves of Mr. Jiveass nigger“ von Cecil Brown oder „American Pimp“ von Iceberg Slim in Stimmung gebracht hat, liegt auf der Hand: Drei Jahre später erschien „That’s Blaxploitation“ von Darius James aka Dr. Snakeskin. Das Buch gilt bis heute als Standardwerk zu Blaxploitation, diesem recht speziellen afroamerikanischen Genrekino mit den potenten Gangstern und den coolen Soundtracks.

Darius James lebt seit vier Jahren in Berlin. „Negrophobia“ wurde in Deutschland zwar von dem kleinen Verlag Maas übersetzt und publiziert. Doch das Buch ist längst vergriffen, und an „That’s Blaxploitation“ hat sich bisher niemand herangewagt. Schließlich erfordert die Übertragung von James’ Wortspielen und der in schlicht unübersetzbarem afroamerikanischem Jive geschriebenen Passagen jedem Übersetzer einiges an Fantasie ab. Dass sich nun der kleine Berliner Verlag „Verbrecher“ traut, in Deutschland James zu verlegen, kann somit nur mutig genannt werden – und es ist vor allem sinnvoll, „Voodoo Stew“ gleichzeitig im Original und in der deutschen Übersetzung zu publizieren. „Voodoo Stew“ ist eine Sammlung von in den letzten Jahren entstandenen, überarbeiteten Essays, von denen die meisten bereits in amerikanischen Publikationen wie der Black-Music-Zeitschrift Vibe oder New York Press erschienen sind. Material gibt es genug: „Voodoo Stew II“ ist bereits geplant.

Darius James’ Thema ist, grob gesagt, die afroamerikanische Popkultur und ihre Mythen. Sein Spektrum reicht vom radical chic der Black Panthers über Pam Griers Frisur bis hin zum zu frühen Tod von Jimi Hendrix. James ist nie bloß Beobachter, sondern Teilnehmender. Er bringt sich, ganz in der Tradition des new journalism, immer selbst ein in seine Storys. So erfährt man zum Beispiel in der Story „Ratgeber für den schwarzen Mann“, dass James sich in seiner Jugendzeit von seiner Clique „Hell up in Harlem“ nennen ließ und Zuhälter werden wollte. Ob das auch stimmt, ist zweitrangig. James versteht sich selbst als Trickster, also als ein Autor, der anderen gerne einmal einen Streich spielt – oder einen Bären aufbindet. Hauptsache, die Story ist gut.

Darius James versucht erst gar nicht, kohärent zu erzählen, er vermeidet es geradezu. Seine Texte mäandern fröhlich vor sich hin und werden mit den unterschiedlichsten Stilmitteln zwischen ernsthaftem Journalismus mit intellektuellem Anstrich, Erzählerischem und, sagen wir: drogeninduziertem Delirieren vorangetrieben. Voodoo, also das Ritual ekstatischer Verzückung, dessen Beschreibung man sich durch den Buchtitel verspricht, gibt’s weniger inhaltlich als vielmehr formal.

Am eindringlichsten gelingt James sein Mix der Mittel in „Depesche aus der Hölle“, wo er beschreibt, wie er für einen Zeitschriftenbeitrag die Hughes Brothers, die Regisseure des Street-&-Crime-Klassikers „Menace II Society“, bei den Dreharbeiten zur Verfilmung des Jack-The-Ripper-Comics „From Hell“ in Prag besucht. Anfangs liefert er eine Montage aus eigenen Reflexionen und Zitaten aus dem Interview Hughes Brothers über das so genannte black american cinema sowie über die afroamerikanischen Figuren der Trickster und des Pimps, des schwarzen Zuhälters. Doch plötzlich läuft James am Set Johnny Depp, der Jack the Ripper spielt, über den Weg und outet sich zunächst einmal als Fan. Aber damit ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende.

Von Prag geht die Reise weiter nach Theresienstadt, dem ehemaligen Konzentrationslager, das „auch einmal als eine Art Film-Set benutzt“ wurde, und zwar in dem Nazi-Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. James kontrastiert den artifiziellen Pophorror der Dreharbeiten mit Johnny Depp mit dem wirklichen Schrecken, der sich mit dem „Dritten Reich“ verbindet. Er will nicht vergleichen, sondern eine Assoziationskette quer durch die Zeit herstellen: von Jack the Ripper bis nach Theresienstadt. Wie sinnvoll das ist, muss nicht die Frage sein: Darius James möchte keine fundierten Theorien aufstellen, sondern einfach seine Gedanken und Erlebnisse vor den Augen des Lesers wirbeln lassen – postmodernes Erzählen könnte man das auch nennen.

Darius James: „Voodoo Stew. Stories und Essays“. Aus dem Amerikanischen von Claudia Basrawi. Verbrecher Verlag, Berlin 2002, 287 S., 14 €