Der gute Wille macht ihn krank

Nachts im Park die Sterne vom Himmel holen, Malcolm X zitieren und nach der Kampfkunst Blut spucken. Isao Yukisadas Spielfilm „Go“ feiert die Befreiungsschläge eines jungen Nordkoreaners in Japan: Popcore galore

Deeskalation ist keine Stärke des jungen japanischen Kinos. Wenn es losgeht, gibt es keine Grenzen mehr. „I'll wipe'em out!“ knallt Sugihara seinem Vater ins Gesicht, der hinter seinem Kioskfenster wie in einem Gefängnis sitzt. Sugiharas Befreiungsschläge sind hochkinetisch und ultrahip. Aber irgendwann muss er sich doch zusammenreißen: „Ich vergaß – das hier ist meine Liebesgeschichte.“ Dieses Bekenntnis zum Eigentlichen ordnet das Spektakel, das Isao Yukisadas Film „Go“ ist, in überschaubare, wenn auch achronologische Episoden. Dazwischen werden U-Bahn-Züge im Fotofinish abgehängt (das „Super Great Chicken Race“), wird ein ganzes Basketball-Team in einer absurden Martial-Arts-Einlage plattgemacht und viel Blut gespuckt. So wie „Go“ muss das Juvenile Delinquent Movie im MTV-Zeitalter aussehen. Popcore. Dieses „Go“ ist das Startsignal zu einem fulminanten Kamikazeangriff.

Er hasse Gewalt, erzählt Sugihara mitten im Film, während er im Klassenraum einen Herausforderer nach dem anderen in die Schranken weist. Aber Malcolm X habe einmal gesagt, dass Selbstverteidigung keine Form von Gewalt sei, sondern ein Zeichen von Intelligenz. Und dann zieht er unter seiner Schuluniform eine Revolutionsbibel, das Lehrbuch nordkoreanischer Schulen, hervor, an dem gerade die Faust eines Kontrahenten zerschmettert ist: „Eigentlich ist das, was ich hier tue, revolutionär.“

Bezüge auf Malcolm X sind in einem japanischen Film nicht gerade typisch. Rassismus wird nur sehr zögerlich thematisiert (in einigen Filmen von Takashi Miike und in „Yentown – Swallowtail Butterfly“ zum Beispiel wurde am Rande die Situation chinesischer Immigranten in Japan geschildert). Zu sehr ist er institutionalisiert und instrumentalisiert, als dass er vom Großteil der Gesellschaft als etwas anderes denn als Teil einer Tradition wahrgenommen würde. Sugihara ist ein „Zainichi“, ein koreanisch-japanischer „Bastard“: Auf seiner koreanischen Schule wird er vom Lehrer zusammengeschlagen, wenn er in seiner Freizeit Japanisch spricht, später vertrimmen ihn seine japanischen Mitschüler, weil er eine „koreanische Laus“ ist, und vom Vater, einem ehemaligen Profiboxer, bekommt er zu Hause den Rest, weil er sich für keine seiner beiden Identitäten entscheiden kann. „Rasse, Heimat, Nation. Patriotismus, Integration, guter Wille“, rotzt er die Kampfbegriffe der Neuen Mitte heraus, „machen mich krank.“ Und dann kommt es zur Explosion: „GENUG!“

Malcom X fungiert in „Go“ über seine Rolle als amerikanische Popikone hinaus, nebenbei nicht die einzige im Film, als Rollenmodell eines leidenschaftlichen Selbstbehauptungskampfes. Sugiharas Feldzug in „Go“ ist aber trotz aller „Malcolmismen“, der physischen Konfrontation um jeden Preis, auch so hinreißend, weil sein Projekt im Grunde ein ganz universales ist. „Ich sage es noch mal, dies ist meine Liebesgeschichte.“ Das ist naiv und doch so unhintergehbar – wie bei Shakespeare, dessen „Romeo und Julia“ gleich am Anfang zitiert wird. Nachts im Park die Sterne vom Himmel holen, kilometerlange Straßenmarkierungen entlangbalancieren, irgendwo ankommen. Für einen Augenblick verliert sich der unversöhnliche „Zainichi“-Blick in den Augen eines schönen, japanischen Mädchens. ANDREAS BUSCHE

„Go“. Regie: Isao Yukisada. Mit Yôsuke Kubozuka, Kou Shibasaki, Tsutomu Yamazaki u. a., Japan 2001, 122 Min.