daumenkino
: „Killing me softly“

Genuss mit Reue

Es ist der Stoff, aus dem die Frauenliteratur ihre schönsten Geschichten spinnt: Das wohlerzogene Mädchen begegnet dem wilden Mann. Mal als Befreiungsroman, mal als Krankheitsgeschichte wird das Thema sowohl in Julia-Heftchen als auch bei Elfriede Jelinek verhandelt, denn idealtypisch spiegelt sich darin das Dilemma der bürgerlichen weiblichen Sexualität: je wilder, desto attraktiver, aber eben auch gefährlicher! So gern das Kino die erotische Unvernunft inszeniert, geht es in der Mehrzahl der Filme am Ende doch protestantisch zu – kein Genuss ohne Reue.

Dass Alice (Heather Graham) an Überdomestizierung leidet, sieht man ihr sofort an. Gerade noch bereitet sich die Webdesignerin auf das eheliche Zusammenleben mit ihrem biederen Freund Jack vor, da kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Adam (Joseph Fiennes). Versehentlich berühren sich ihre Hände beim Ampelsignaldrücken. Heimliche Treffen mit leidenschaftlichem Sex bringen das ordentliche Mädchen bald dazu, den braven Freund der Fürsorge der besten Freundin zu überlassen und trotz allseitigem Kopfschütteln für die Leidenschaft zu optieren. So schwer scheint die Entscheidung nicht, geht Adam doch dem erlesenen Beruf des berühmten Bergsteigers nach und besitzt auch sonst alles, was das Kleinmädchenherz begehrt: Geld, einen ansehnlichen Körper und eine romantische Beschützerader. Dass manche seiner Reaktionen ein bisschen brutal ausfallen, sieht Alice ihm natürlich zunächst nach. Als im Genre erfahrene Zuschauer aber wissen wir, dass nun die Zeit des Bereuens anbricht.

Bald bekommt Alice warnende Briefe: Wie gut kennst du den Mann, den du da geheiratet hast? Die eine Vorgängerin ist am Berg verunglückt, die andere im Flachland verschollen – hat sie nicht allen Grund, misstrauisch zu werden? Zumal die Zuwendung Adams ihr immer mehr zur Fessel wird und seine Schwester mysteriöse Hinweise gibt.

Vom Regisseur eines Films wie „Farewell my Concubine“ würde man selbst bei dieser schematischen Vorlage erwarten, dass er die vordergründigen Motive – der ungezähmte Mann ist gefährlich – gegen die unterschwelligen – die Angst der Frau vor sich selbst – ausspielt und so über den Gemeinplatz hinauskommt. Das Überraschende an „Killing me softly“ ist, wie leicht es Chen Kaige fällt, darauf zu verzichten und die Plausibilität ohne Not der nächsten, ach so verblüffenden Wendung zu opfern. BARBARA SCHWEIZERHOF

„Killing me softly“. Regie: Chen Kaige. Mit Heather Graham, Joseph Fiennes u. a., USA 2002, 100 Min.