In der Zukunftswerkstatt des ZDF

Das Zweite stemmt sich gegen den Ruf, der „Sender für Alte“ zu sein – und leistet sich deshalb einen hauseigenen Jungbrunnen: Aus einer kleinen Entwicklungsredaktion namens Quantum kommen die erfreulichsten Formate des ZDF

von HEIKO DILK

Hier soll es also entstehen, das Fernsehen von morgen. In einem kleinen Zweierbüro im fünften Stock des ZDF-Hochhauses in Mainz. Weit gucken kann man von hier jedenfalls in eine eintönige Fernsehlandschaft: Lerchenberg und Umgebung, Felder, eine Schnellstraße und mehrere Zweckbauten mit großen Satellitenantennen auf dem Dach: ZDF, 3sat und Arte.

Hier oben sitzt Quantum, das „Laboratorium für Formatentwicklung der Redaktion Das kleine Fernsehspiel“. So heißt das wirklich. Und genau genommen muss man noch hinzufügen „in ZDF und 3sat“. So ist Quantum quasi eine Entwicklungsredaktion in der Entwicklungsredaktion, denn schon Das kleine Fernsehspiel ist für die Talentförderung zuständig, allerdings im fiktionalen Bereich, während Quantum sich auf nonfiktionale Stoffe konzentriert. Das mit dem Laboratorium ist allerdings so eine Sache. Eigentlich besteht Quantum nämlich nur aus einer Person – oder besser: Es gibt nur eine feste Kostenstelle innerhalb des circa 2.500 Menschen starken ZDF-Apparates.

Die gehört Ralf Rückauer, der jetzt erst mal ins Büro von Heike Hempel führt, Redaktionsleiterin von Quantum und Chefin des kleinen Fernsehspiels – und gerade nicht da. Aber bei ihr stehen zwei Sessel und eine Couch. Die Sessel sind klein, irgendwie zottelig und weiß, die Couch ist auch klein, aber rot. Immerhin ein Farbtupfer in einem der unzähligen Büros, die von den langen Gängen im ZDF-Turm abzweigen, oben auf dem Lerchenberg, wo die Kantine sich ihren 70er-Jahre-Chic erhalten hat und der vorherrschende Bodenbelag – wie überall beim ZDF – die vorgeformte Teppichfliese ist.

Was kann man hier schon erwarten? Rückauer aber beharrt: „Wir wollen Fernsehen machen, das es noch nicht gibt.“ Und das heißt vor allem: junges Fernsehen. Ausgerechnet beim ZDF.

Kein Privatsender leistet sich noch eine eigene Entwicklungsredaktion. Die unabhängigen Produktionsfirmen entwickeln nur, was auch Chancen hat, einen Sender für die Ausstrahlung zu finden. Das heißt nicht nur, dass es massenkompatibel sein muss, es muss auch ins Sendeschema passen. Und das ist bei den Privaten mittlerweile starrer als bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Quantum ist also ziemlich einmalig in der deutschen Fernsehlandschaft. Seit 1989, als Quantum gegründet wurde, haben schon einige Ideen von dort ihren Weg ins Programm gefunden.

Hier nahmen die Arte-Themenabende ihren Ursprung. Das Frauenmagazin „Nova“ wurde hier entwickelt und immerhin zehn Jahre alt. Für das Musik-Magazin „Lost in Music“ gab es den Grimme-Preis, letztes Jahr wiederholte das ZDF die Reihe „Fantastic Voyages“, die 2001 auf 3sat lief. Ein Format, bei dem Film-, Kunst- und Medienwissenschaftler oder Psychologen über den Video-Clip als Kunstform sprechen. Im März 2001 zeigte das ZDF das mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnete „Webcamprojekt“, eine zweistündige Reise um die Welt, zusammengestellt aus Material von über 100 Internet-Kameras. Daraus entwickelte sich das regelmäßige Nachtprogramm „webcamnights.tv“.

Die Ideen dafür kommen häufig von außen. „Wir sind ja auch Talentsucher“, sagt Rückauer – gute Ideen freier Autoren werden in einem Gremium diskutiert, das sich alle sechs bis acht Wochen trifft. Rund zwölf Leute sind das im Normalfall aus den Bereichen Show, Serie, aus der Planungsredaktion und natürlich vom Kleinen Fernsehspiel. Und hier ist das ZDF dann wieder ganz bei sich selbst: Die zur Diskussion stehenden Stoffe werden vorher verteilt und in der Sitzung vorgestellt. „Bei uns ist es aber ein bisschen anders als in anderen Sitzungen“, versichert Rückauer.

Und das muss wohl so sein. Sonst ließe sich kaum erklären, dass Formate wie „Games Odyssey“ dort entstehen. Die vierteilige Dokumentarreihe über die Kulturgeschichte des Computerspiels, die Ende letzten Jahres auf 3sat lief und, laut Rückauer, wie „Fantastic Voyages“ eine Fangemeinde hat, spricht ein Publikum an, das weit jünger ist, als man bei 3sat und ZDF gewöhnt ist.

Auch für die Umsetzung von „Blind Date 2“ mit Anke Engelke und Olli Dittrich war Quantum verantwortlich. Am 27. Dezember lief nun schon der dritte Teil dieses Improvisationsfernsehens ohne Drehbuch – und ohne Quantum. So läuft’s. Ist ein Format erst mal zur Serienreife gelangt, nimmt Quantum Abschied. Die Projekte werden dann von anderen Redaktionen weiterentwickelt.

Das meiste, was Quantum macht, wird leider zu nachtschlafender Zeit versendet. „Der Sendeplatz hängt sehr stark vom jeweiligen Projekt ab“, sagt Rückauer, und dass man Einzelprojekte eben schlecht um 20.15 Uhr senden könne.

Manches, was Quantum entwickelt, geht aber auch niemals in Serie – selbst wenn es erfolgreich ist. Warum das so ist, sei „schwer zu sagen“, meint Rückauer. Es könnte damit zu tun haben, dass die Redaktionen bei ZDF und auch bei 3sat einen stetigen Verteilungskampf um Sendeplätze führen müssen und dass die Redaktionen sich nicht immer leicht damit tun, ein Format zu übernehmen, das sie nicht selbst entwickelt haben. Aber das sei, so Rückauer, in der Tat schwer zu sagen. Etwa drei Formate entwickelt Quantum jährlich, und wenn eines davon in Serie geht, ist Rückauer froh.

Daran, dass es keinen „Zwang“ gebe, „massenkompatibles Programm zu machen“, habe zwar auch die Medienkrise nichts geändert. Aber Redaktionsleiterin Heike Hempel ergänzt: „Wir müssen nichts Massenwirksames entwickeln, aber wir möchten es gerne.“ Das ist nicht ganz ungefährlich, denn einerseits müsse Quantum sich „frei bewegen können“, andererseits soll es auch „die Bedürfnisse im ZDF-Programm wahrnehmen“, wie Hempel sagt.

Womit die Gefahr besteht, dass Quantum zu einer bunten Teppichfliese in der ZDF-Auslegeware verkommt. Immerhin hat Intendant Markus Schächter die Devise ausgegeben, das ZDF-Programm müsse jünger werden. Erreichen will er das allerdings vor allem mit – Geschichte.