Ein Mann der Aufklärung

Der Buchhändler Abdullah Eryilmaz schreibt gern Kurzgeschichten über schöne Frauen und einen schüchternen Rhododendron. Seinen Laden in der Sonnenallee betreibt er wie einen Mischkonzern

von DETLEF KUHLBRODT

Im Winter, wenn’s kalt ist, ist es schön, Abdullah Eryilmaz in seinem gemütlichen „Uygar“-Buchladen in der Sonnenallee zu besuchen; Uygar heißt „zeitgenössisch“. Auf dem Boden liegt ein Teppich, links stehen die Regale mit den Büchern türkischer Autoren auf Deutsch oder Türkisch, und wer mag, kann sich hinsetzen und ein wenig blättern; rechts gibt es das übliche Zeitschriften-, Zeitungs- und Tabakwarensortiment. Gegenüber der Tür steht ein Schreibtisch, hinter dem Abdullah Eryilmaz jeden Tag von sieben Uhr morgens bis abends um halb sechs sitzt.

Abdullah Eryilmaz hat viele Dienstleistungen anzubieten: Behördengänge, Büroarbeiten, Übersetzungen. Sein „Uygar“-Buchladen ist Reisebüro, Vermittlungsstelle für türkische Filmkomparsen und Abdullah Eryilmaz außerdem auch noch Liedermacher und Schriftsteller; im Grunde genommen also eine Ich-AG als Mischkonzern. Die Kassette mit seinen Stücken heißt „Gastarbeiterlieder“, und im letzten Jahr hat er sein erstes Buch – „Mein Onkel und sein Freund“ – im Selbstverlag veröffentlicht. Die zehn warmherzigen, zuweilen auch satirischen Erzählungen auf 180 Seiten passten sehr gut in die kalte Jahreszeit und würden größtenteils auf authentischen Erfahrungen beruhen, versichert der Mann mit dem gemütlichem Bäuchlein und dem runden freundlichen Gesicht.

Es geht um Verständigung, mutikulturelles Zusammenleben, deutsch-türkische Vorurteile und wie sie durch praktische Erfahrungen abgebaut werden: Fahrten in die türkische Provinz, anrührende Erzählungen von Kinobesitzern, traurigen Männern, schönen Frauen, einem schüchternen Rhododendron, der viel zu leiden hat, bevor er dann im Garten eines netten Berliner Türken in ganzer Schönheit aufblühen kann, eine komplizierte Dreiecksgeschichte mit betrunkenem „Dreier“ am Anfang und einem dualen Liebesspiel im Mondschein auf dem Teufelsberg „voller Harmonie. Und, was nicht selbstverständlich ist, wir erlebten unseren Höhepunkt gleichzeitig. In dem Moment sah ich eine Sternschnuppe vom Himmel fallen. Dann fiel ich in die Seligkeit.“

So soll es sein!!! Alles mit viel Witz geschrieben und sehr schön zu lesen. Eine Geschichte, die das klassische Thema des richtig ausgefüllten, aber nicht abgegebenen Lottoscheins behandelt, wäre als eine Art Hausaufgabe in der Zeit entstanden, als er Deutsch lernte, sagt Herr Eryilmaz, und wäre zunächst im Journal des Berufsförderungswerks veröffentlicht worden. Neben dem Schreibtisch hängt ein Bild, das ein befreundeter Maler nach einer Fotografie von Herrn Eryilmaz angefertigt hat. Auf dem Bild hat er so einen roten Fez auf und wirkt zugleich lebensklug und verschmitzt. Dies Bild ist auch das „Cover“ seines Buches, von dem einige Ausgaben in der Nähe des Schreibtischs stehen. Später holt der Schriftsteller eine kleine Stoffpuppe, die ihm eine begeisterte Leserin gebastelt hat. Sie sieht aus wie Abdullah Eryilmaz; nur das Bäuchlein ist etwas kleiner geraten.

„Eigentlich bin ich ein Bauernkind und kann auch Tabak pflanzen“, erzählt der Dichter. Sein Onkel war Kinobesitzer, der Neffe wurde „liberal erzogen“ und war in vielen Berufen tätig: 1975 kam er vom Land nach Köln, wo er einen Tante-Emma-Laden hatte. Später arbeitete er in Imbissbuden, war zeitweise Gabelstapler-, zeitweise Lkw-Fahrer, lernte Ende der 90er-Jahre Bürokaufmann und ist vor dreizehn Jahren nach Berlin gezogen. Als „Mann der Aufklärung“ sieht er die Rückbesinnung vieler seiner Landsleute auf den Islam ziemlich kritisch und ärgert sich immer noch darüber, dass ihm das Transparent, das er bei dem türkischen Umzug im letzten Jahr mit sich geführt hatte, von religiösen Eiferern entrissen worden war. Auf dem Transparent hatte gestanden: „Döner Kebab gut – Aziz Nesin besser.“

Aziz Nesin ist bekannt für seine zeitkritischen und satirischen Romane und Erzählungen. Um sich im Falle eines Falles gegen Fundamentalisten verteidigen zu können, hat Abdullah Eryilmaz einen Knüppel unter seinem Schreibtisch. Die meisten Kunden, die in seinen Laden kommen, kaufen keine Bücher, sondern Marlboro, Bild der Frau, Sport-Bild, BZ „und diesen ganzen Mist“. Ein Taxifahrer kommt immer extra hierher, um die FR zu kaufen, „weil er weiß, dass ich nicht konservativ bin“; zwei Kunden besorgen sich hier auch regelmäßig die „linksintellektuelle“ taz. Darüber freut sich Herr Eryilmaz und serviert einen Tee, der ganz wunderbar schmeckt. Das Geheimnis dieses Tees: ein bisschen Aroma und vor allem ein paar Nelken.