Von Gottes Gnaden

„Man kann sich als Papst gar nicht genug in die Politik einmischen“„Eher gehe ich ins Gefängnis, als dass ich einen meiner Priester ausliefere“

von KATHARINA KOUFEN

Am liebsten wäre Oscar Rodriguez selbst geflogen. Hätte die kleine Maschine der honduranischen Fluggesellschaft persönlich gesteuert und sanft auf der Sandpiste neben dem Karibikort Trujillo gelandet. Aber das geht nicht. Rodriguez hat zwar einen Flugschein, seit Jahren schon, und Fliegen ist seine große Leidenschaft. Doch der dunkelhaarige Mann, der im Dezember 60 geworden ist, gehört seit einiger Zeit zu den VIPs, den wichtigen Personen dieser Welt, die grundsätzlich von anderen gefahren werden, und geflogen natürlich erst recht. Denn Oscar Andrés Rodriguez Maradiaga, Kardinal und Erzbischof von Tegucigalpa, gilt als papàbile. Das heißt: Er könnte der nächste Papst werden.

So also hat er den einstündigen Flug als Passagier hinter sich gebracht. Nun steht er neben der Landebahn und beobachtet kopfschüttelnd, wie das Flugzeug des amerikanischen Botschafters im letzten Moment auf einen größeren Flughafen umgeleitet wird. „Die Maschine ist viel zu groß“, erklärt der Kardinal dem deutschen Geistlichen neben ihm. Mehr sagt er nicht, aber er lächelt in sich hinein, und um seine Augen bilden sich viele kleine Fältchen.

Der Mann neben ihm heißt Michael Sommer und ist stellvertretender Geschäftsführer des deutschen Hilfswerks Adveniat. Wenn er die Geschichte erzählt, hört man heraus, dass Rodriguez ihn beeindruckt hat. Wie er gerade eben noch über Flugzeuge fachsimpelte und kurz darauf eine Messe gefeiert hat, zum 500. Jahrestag des ersten katholischen Gottesdienstes, der je in Honduras gehalten wurde, damals noch mit Christoph Columbus persönlich. Eine Messe am Strand von Trujillo, in drückender Hitze, „so heiß, dass immer wieder Leute ins Meer springen mussten, um sich abzukühlen“. 30.000 Menschen waren da.

„Rodriguez ist jemand, der sehr fest auf dem Boden steht. Er ist überaus menschlich, aber er weiß auch, in politischen Netzen zu agieren“, sagt Sommer. Das Kirchenoberhaupt von Honduras hält nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Auch als Nachfolger von Johannes Paul II. würde er das nicht tun. „Man kann sich als Papst gar nicht genug in die Politik einmischen“, sagt er.

Nicht alle Honduraner finden es gut, dass sich ihr Kardinal ständig in die Politik einmischt. „Er hat immer und zu allem eine Meinung. Was er sagt, wird getan“, sagt einer, der ihn „seit der Schulzeit“ kennt, seinen Namen aber nicht in der Zeitung sehen möchte. Weil die katholische Kirche international viel Einfluss hat, ein honduranischer Politiker außerhalb von Honduras aber fast gar keinen, will es sich kein Minister und kein Präsident mit einem papàbile verderben. „De facto ist Rodriguez unser mächtigster Politiker im Land.“ Ein Politiker von Gottes Gnaden – einer Wahl musste er sich nie stellen. Ein geflügeltes Wort in Honduras lautet: „Wir haben einen Präsidenten, salbungsvoll wie ein Kardinal. Und wir haben einen Kardinal, der redet wie ein Präsident.“

Rodriguez selbst sieht das so: „Wir müssen doch dafür sorgen, dass sich unsere Werte in der Politik widerspiegeln. Wenn man mir das vorwirft, dann sage ich: Ich mische mich doch gar nicht in die Politik ein – ich streite für Gerechtigkeit.“

Zum Beispiel damals, als in Honduras Leute verschwanden und irgendwann wieder auftauchten – als verstümmelte Leichen. „Keiner wusste, wer die Verbrechen begangen hatte.“ Rodriguez zieht die kräftigen dunkelbraunen Augenbrauen hoch und blickt über den Rand seiner Brille hinweg. Die Regierung beauftragte den Erzbischof mit dem Vorsitz einer Ad-hoc-Kommission zur Aufklärung der Morde. „Wir arbeiteten 45 Tage lang von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends und hörten uns alle an, die eine Anklage vorzubringen hatten. Es kam heraus, dass die Geheimpolizei, die damals noch dem Militär unterstand, die Leute umgebracht hatte. Wir kamen deshalb zu dem Schluss, dass diese Geheimpolizei zu verschwinden hatte – was dann auch geschah. Alles Verbrecher!“ Rodriguez macht mit der rechten Hand eine Geste wie wenn ein Blitz zuckt.

Doch nicht immer setzt der Papstanwärter sich für rigorose Aufklärung ein. Geht es um die heilige katholische Kirche selbst, ist der Ruf wichtiger als Transparenz, findet Rodriguez. In Rom gehört er zu den Kardinälen, die gegen einen innerhalb der katholischen Kirche diskutierten Vorschlag sind, pädophile Geistliche vor weltliche Gerichte zu stellen. „Eher gehe ich selbst ins Gefängnis, als dass ich einen meiner Priester ausliefere“, wetterte der Honduraner, der unter seinen Kollegen die deutlichsten Worte fand.

„Rodriguez klärt dann auf und prangert dann an, wenn es ihm gelegen kommt“, sagt ein Beobachter aus dem eigenen Land. „Er ist gnadenlos populistisch.“ Doch Populismus ist eine Eigenschaft, die unter Lateinamerikas Mächtigen noch weiter verbreitet ist als bei uns. Für die meisten Katholiken in Honduras ist das jedenfalls kein Hindernis, um ein guter Papst zu werden. Und ein guter Papst würde Rodriguez in den Augen seiner gläubigen Landsleute schon allein deshalb sein, weil er der erste „Dritte-Welt-Papst“ wäre. Der erste Nachfolger Petri, der nicht aus Europa kommt. Rodriguez kennt die Erwartungen, die Millionen von gläubigen Katholiken aus Lateinamerika an ihn haben. In seinen Predigten ruft er den Leuten zu: Der jetzige Papst hat Ost und West zusammengebracht. Der nächste Papst muss Nord und Süd zusammenbringen! „Die rein wirtschaftliche Globalisierung, so wie sie stattfindet, ist gefährlich“, sagt er. Und: „Die ärmsten Länder bleiben ausgeschlossen. Die Staatschefs der reichen Länder denken nur an ihre eigenen Interessen.“

Der Kirchenmann weiß, wovon er spricht. Er muss sich nur ins Auto setzen und zwei Stunden aus der Hauptstadt Tegucigalpa herausfahren. „Kaffee, nehmen Sie den Kaffee: Er ist die tragende Stütze der honduranischen Wirtschaft. Die Kaffeepreise werden auf dem Weltmarkt gemacht. Sie sinken und sinken, und jeden Tag verdienen unsere Produzenten weniger.“ Und: „Der Gewinn verschwindet in den Händen der großen Transnationalen Unternehmen“ – ein Satz, wie er auch von Attac stammen könnte.

Damit ist es aber auch schon vorbei mit den Gemeinsamkeiten zwischen dem Kardinal und den Globalisierungskritikern. Wer auf eine radikale Reform der katholischen Kirche hofft, würde mit dem Papst aus Honduras enttäuscht. Das Zölibat abschaffen? Nein, findet Rodriguez. Erstens seien, in seinem Land zumindest, Priester gar nicht in der Lage, eine Familie zu ernähren. Und zweitens wäre das Letzte, was die Kirche bräuchte, Eheskandale, Eifersuchtsszenen, Dreiecksbeziehungen. „Es reicht, dass unsere Politiker so leben.“ Drittens, und das sagt Rodriguez nicht, haben sich zumindest in Honduras die Geistlichen recht gut mit der Situation arrangiert. Die meisten haben längst Kinder. Das ist in den Gemeinden ein offenes Geheimnis und wird stillschweigend akzeptiert. Kondome gegen Aids? „Ob es mehr oder weniger Aids gibt, hängt nicht mit Kondomen zusammen. Bei uns verschenken sie die Dinger sogar am Strand, und trotzdem nimmt die HIV-Infizierung zu.“ Rodriguez lächelt nicht mehr, seine Stimme klingt ein wenig gereizt. „Die jungen Leute müssen lernen, dass Sex kein Sport ist, sondern ein Weg, um Liebe zu kommunizieren.“

Mag dies in Deutschland auch ein bisschen weltfremd klingen – der Kardinal kommt trotzdem auch hier gut an, und nicht nur beim konservativen Flügel der Katholiken. Zu Bundespräsident Johannes Rau hat Rodriguez enge Beziehungen, zu Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Kondome für „das Recht der Frau auf Selbstbestimmung ihrer Sexualität“ fordert, auch. 1999 stand Rodriguez neben der Entwicklungsministerin und dem Bundeskanzler, als Schröder einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer verkündete. Der Honduraner, der während eines Studienaufenthalts in Österreich Deutsch gelernt hat, war als Schirmherr des NGO-Bündnisses „Erlassjahrkampagne“ zum G-7-Gipfel gereist. Johannes Rau kennt er von einem früheren Besuch. Der Bundespräsident hat ihm einmal einen Jeep geschenkt, als ein Mitarbeiter von Rodriguez ihm erzählte, dass das kirchliche Gefährt in Tegucigalpa geklaut worden war.

Seit letztem Jahr verbindet den Papstkandidaten noch etwas mit Deutschland: Die Flut. Das hat eine Vorgeschichte. In Honduras überspülte eine Flutwelle 1998 nach dem Hurrikan „Mitch“ die Hauptstadt, 10.000 Menschen starben. Damals bildeten sich in Köln und Bonn spontane Hilfskomitees. Sie sammelten Kleider, Medikamente und Nahrungsmittel und wollten die Pakete und Säcke per Containerschiff nach Honduras schicken. Die gut gemeinte Aktion hätte um ein Haar im Chaos geendet, weil sich vor Ort niemand fand, der die Verteilung koordinieren konnte – die honduranische Armee nahm Hilfsgüter erst einmal in Beschlag. Ein typischer Fall für Rodriguez: Er übernahm die Verteilung. Punkt.

Letzten Sommer nun die Flut in Ostdeutschland. Da wollten sich die Honduraner revanchieren. Im September reiste Rodriguez eigens zu einer Feier mit kirchlichen Hilfswerken und Entwicklungsministerium nach Bonn, um dem Bundespräsidenten eine Spende zu überreichen. Es sind nur ein paar tausend Dollar zusammengekommen. Für deutsche Verhältnisse ein Klacks. Aber der honduranische Helfer lässt sich nicht beirren. In schwarzem Anzug, schwarzem Hemd, das Kreuz an der Kette um den Hals in der Brusttasche versteckt, tritt er ans Mikrofon und sagt: „Das ist das Scherflein der armen Witwe.“ Wichtig ist die Geste.

Vor dem Festsaal warten ein paar deutsche Journalisten. „Ich gehe nicht nach Rom“, sagt Rodriguez und schüttelt energisch den Kopf. „Ich bin in Honduras zu Hause, und meine Leute brauchen mich.“ Keiner glaubt ihm. Schließlich gilt die alte Kirchenregel: Wer stets behauptet, er wolle gar nicht Papst werden, hat die besten Chancen.