zwischen den rillen
: Die Rückkehr der Portishead-Sängerin Beth Gibbons

In stillen Kammern

Das neue Album der ehemaligen Portishead-Sängerin Beth Gibbons, „Out Of Season“, ist von vielen Geheimnissen umgeben. Diese machen seinen Reiz aus, besonders wenn sie die Musik und die Personen von Beth Gibbons und ihres Partners Paul „Rustin Man“ Webb betreffen – da gehen Antipop, Tiefgründigkeit, Minimalismus, passionierte Schwermut und die Kunst des Verschwindens schöne, interessante und auch etwas aufdringliche Verbindungen ein. Auf ein Geheimnis aber kann man gut verzichten: die Veröffentlichungspolitik der zuständigen Plattenfirma. Diese kündigte das Album für Mitte Februar an, lieferte es dann Anfang Dezember aus, nur um es ein paar Wochen später wieder zurückzuziehen. Ein Versuchsballon, um Reaktionen zu testen? Und um dann nach möglicherweise überschwänglichen Kritiken „das Thema“ Beth Gibbons wieder auf ganz heißer Flamme zu kochen, wie es so schön im Plattenfirmendeutsch heißt?

Sicher ist, dass die Wege der Majors schon immer die unergründlichsten waren. Und dass Polydor vielleicht wirklich nicht wusste, wie Beth Gibbons ohne den Namen Portishead beworben werden sollte. Portishead waren Mitte der Neunziger neben Massive Attack das Aushängeschild einer musikalischen Bewegung namens TripHop. Darunter verstand man die Verbindung von langsamen, am Computer hergestellten Beats und „echtem“ Gesang. Technik versus Natur, wobei die Männer in der Regel die Musik produzierten und die Frauen sangen. Im Fall von Portishead lud Beth Gibbons mit ihrer wahlweise zitternden und festen, aber immer berückenden Stimme zur Identifikation ein (Weltschmerz, Melancholie: „Nobody Loves Me“), und Geoff Barrow bastelte die kalten, kratzigen, komplizierten Beats und streute dazu fein ausgesuchte Samples. 1998 aber, nach zwei Studioalben, verschwanden Portishead. Das letzte Lebenszeichen von ihnen war ein Live-Album, das ihre Entwicklung auf den Punkt brachte: Hohe Musikschule statt TripHop, Klassik statt Clubkultur, Streicher statt Samples. Allerdings verschwanden sie so gründlich, dass kein Mensch mehr auf ein Portishead- oder Beth-Gibbons-Album gewartet hat. Beth Gibbons gibt keine Interviews, und auch sonst ist nur wenig über sie bekannt – sie lebt auf dem Land, ist 37 Jahre alt, Raucherin.

Zu allem Überfluss hat sie sich für „Out Of Season“ auch noch mit besagtem Paul Webb zusammengetan, dessen ehemalige Band Talk Talk wohl auf der schwarzen Liste aller Majors steht. Nachdem Talk Talk in den Achtzigern mit schwelgerischem und klebrigem Synthie-Pop einige Hits produziert hatten, nutzten sie das in sie gesetzte Vertrauen (Geld), um das Klebrige und das Schwelgerische wegzulassen und berückende, manchmal aber auch schwierige, fast experimentelle Alben aufzunehmen – auch hier hatten sich ein paar Musiker strammen Klöppels aus der Popkultur zurückgezogen.

Trotzdem ist es nun nicht so, dass „Out Of Season“ überhaupt nicht von dieser Welt wäre. Beth Gibbons singt immer noch, als würde sie unheimlich viele Lasten auf ihren schmalen Schultern und in ihrer Seele mit herumschleppen. (Was hat sie bloß?) Das aber scheint ihr viel Spaß zu machen. Dann wieder ist sie so wandlungsfähig, dass man beispielsweise in „Romance“, „Sand River“ und „Resolve“ drei völlig unterschiedliche Sängerinnen zu hören meint. Hin und wieder ist man froh, so eindringlich ist Gibbons, wenn in einem Song wie „Romance“ die letzten Minuten nur noch die Instrumente sprechen. Paul Webb wiederum hat, wie er in einem Interview gesagt hat, „die Diktatur der Beats“ gebrochen und begleitet Gibbons meist sparsam, aber nie zurückhaltend mit sachten Akustikgitarren, hingetupften Pianoläufen, spröden Mundharmonikaklängen, feinen Hörnern und mehr.

Mit so einer Musik, die nur bei Schäferstündchen zu zweit oder allein im stillen Kämmerlein funktioniert, macht man natürlich keine Stiche im Rennen um jugendliche Hörer und erwachsene Formatradio-Konsumenten und schon gar keinen Eindruck bei den Musiksendern – was wäre das für ein Break, wenn zwischen einem Britney-Spears- und einem Cristina-Aguilera-Video plötzlich die blasse, ungestylte Beth Gibbons auftauchen und „autumn leaves, beauty’s got a hold on me, autumn leaves, pretty as can be“ singen würde! (Selbstverständlich lieben sie die Herren des deutschen Feuilletons allein schon dafür). So muss die Plattenfirma sich viel Mut zusprechen: In ihrem Presse-Info weist sie darauf hin, dass Beth Gibbons gerade an den Melodien von Songs feile, die ihr Geoff Barrow zugeschickt habe. Portishead leben! Und dann teilt sie mit: „ ‚Out Of Season‘ ist eine einmalige Zusammenarbeit. Ein faszinierendes Album, das vielleicht nicht den Ton der Zeit trifft, dafür aber einzigartig ist.“

GERRIT BARTELS

Beth Gibbons & Rustin Man: „Out Of Season“ (Go Disc/Polydor/Universal)