So weit sind wir nur hier gekommen

Hilft die Literatur weiter, wenn die Propaganda versagt? Das US-amerikanische Außenministerium hat den Versuch unternommen und den Band „Writers On America – 15 Reflections“ finanziert. Darin erklären Richard Ford, Linda Hogan und andere Schriftsteller, warum die USA großartig sind

Die Autoren richten sich weniger an den Rest der Welt als an die Amerikaner selbst

von TOBIAS RAPP

Mit der Propaganda in der Informationsgesellschaft ist das so eine Sache: Irgendwie funktioniert sie nicht so richtig. Alle paar Monate wird in der US-Administration geplant, die öffentliche Meinung im kriegsskeptischen Ausland mit einer zünftigen Kampagne zu beeinflussen, und kaum ist ein Büro eingerichtet oder eine PR-Agentur beauftragt, dies in die Wege zu leiten, hat es auch schon die halbe Welt mitbekommen und prüft jede Information doppelt misstrauisch. Auch die Zusammenarbeit zwischen Hollywood und dem Pentagon hat außer diversen kritischen Artikeln über die Nähe der Filmindustrie zur Macht noch keine spektakulären Ergebnisse hervorgebracht, im Gegenteil, ein Film wie „Black Hawk Down“ kam erst mit großer Verspätung in die nichtamerikanischen Kinos und verschwand ziemlich bald wieder; und die Bänder für „Profiles From The Frontline“, die mehrfach angekündigte Reality-Soap von Jerry Bruckheimer über den Afghanistan-Einsatz der US-Army, verstauben ungenutzt in den Kellern des Fernsehsenders ABC.

Aber wofür überhaupt lügen und betrügen, so scheint man sich nun im amerikanischen Außenministerium gedacht zu haben, wo doch die Wahrheit die schärfste Waffe ist? Sind wir nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Sollten wir nicht mit diesem Pfund wuchern? Es war Mark Jakobs, ein Mitglied des amerikanischen diplomatischen Dienstes, der nebenbei auch als Schriftsteller tätig ist, der auf die Idee kam, bei einer Reihe von amerikanischen Kollegen anzufragen, ob sie nicht bereit wären, sich in einem kurzen Text der Frage: „In welcher Hinsicht sehen Sie sich als amerikanischer Schriftsteller?“ anzunehmen. 14 Schriftsteller taten es, das Ergebnis – ein Büchlein mit dem Titel „Writers On America – 15 Reflections“ – wird in diesen Tagen in einer Auflage von 31.000 Stück in die Welt verschifft und soll in Botschaften und Kultureinrichtungen kostenlos verteilt werden. Übersetzungen ins Arabische, Französische, Spanische und Russische sind in Vorbereitung.

Es ist ein Buch, dessen Autorenliste gewisse Ähnlichkeiten mit einer der zahllosen mixed-race combat units aufweist, die regelmäßig in amerikanischen Actionfilmen ausgesandt werden, um außerirdischen Bösewichten den Garaus zu machen. Da gibt es den weißen Helden, in diesem Fall verkörpert vom Pulitzer-Preisträger Richard Ford, der von Nebenfiguren aller Hautfarben und Herkünfte sekundiert wird: von einem Afroamerikaner, nämlich dem Romancier Charles Johnson, einer arabisch-amerikanischen Frau, der Dichterin Naomi Shibab Nye, und einer Amerikanerin indischer Herkunft, der Literaturprofessorin Bharati Mukherjee. Als Spurensucherin ist noch die Chickasaw-Indianerin Linda Hogan mit von der Partie.

Tatsächlich geht es auch genau darum: um individuelle Spurensuche. So gut wie jeder der ausgewählten Texte erzählt, wann die Autorin oder der Autor, deren Eltern oder Großeltern nach Amerika kamen, was für Hindernisse sich ihr oder ihm in den Weg stellten, wie er oder sie es schließlich aber doch schafften, diese zu überwinden. Kurz: Es geht darum, dass die USA großartig sind, weil es da, wo man irgendwann einmal herkam, eben nicht möglich gewesen wäre, so weit zu kommen, sich so vollständig selbst zu verwirklichen.

Einzig Richard Ford schert ein wenig aus, wenn er mit der McCarthy-Zeit, der Rassendiskriminierung in den Südstaaten und dem Vietnamkrieg ausschließlich negative Seiten der amerikanischen Geschichte aufzählt und als Antriebskraft für sein Schreiben benennt. Die anderen Texte handeln vor allem vom hybridisierten Ich der Autoren und davon, in mehreren Kulturen zu Hause zu sein. Mehr als einmal wird Walt Whitman zitiert, wenn er Amerika sprechen lässt: „I am large, I contain multitudes.“

Im Westen nichts Neues also. Wenn sich in dieser Zusammenstellung irgendwo Propaganda verbergen sollte, abgesehen von dem Umstand, dass das amerikanische Außenministerium den Druck bezahlt, dann hat sie sich gut versteckt. Die Texte sind so politisch korrekt wie harmlos, ein einziges Foto der Freiheitsstatue hat mehr Pathos, ein paar Zeilen aus einem beliebigen HipHop-Stück erzählen mehr und verführerischer vom amerikanischen Traum als dieses Buch.

Es ist vor allem ein Eindruck, der sich aufdrängt, wenn man diese um ein paar Gedanken erweiterten Lebensläufe liest: dass „Writers On America“ sich vielleicht weniger an den Rest der Welt richtet als an die Amerikaner selbst. Wenn es im Vorwort heißt, man hoffe mit diesem Buch „Freiheit, Vielfalt, Demokratie“ zu beleuchten, „Werte, die nicht überall in der Welt verstanden werden“, so wirken die verschiedenen Beiträge wie eine Selbstvergewisserung. Dies ist eher ein Versuch, sich selbst zu erklären, wofür man eigentlich steht, als einer, dies dem Rest der Welt zu vermitteln.

Allerdings werden die Amerikaner von all dem nur wenig mitbekommen. Der Smith-Mund-Act aus dem Jahr 1948 untersagt es der amerikanischen Regierung, die eigene Bevölkerung indoktrinierender Information auszusetzen. Die einzige Möglichkeit für US-Bürger, die Texte zu lesen, ist, sie sich von der Homepage des Außenministeriums herunterzuladen (usinfo.state.gov/products/pubs). Dort stehen sie neben einer Broschüre über das muslimische Leben in den USA (inklusive der Geschichte einer Rapgruppe, die muslimische Werte in ihren Texten verarbeiten soll) und einem Buch über den Irak, das den schönen Titel „From Fear To Freedom“ trägt.