crime scene
: Emotionale Korrektheit: In „Born Bad“ erzählt Andrew Vachss von Paranoikern, Enttäuschten und Gestrandeten

Der dunkel glitzernde Charme des Mistkäfers

„Ted Bundy war ein verachtenswerter, jammernder Wurm – ein Zwangsneurotiker, aus dem die Medien einfach deshalb ein kriminelles Genie gemacht haben, weil sein IQ unwesentlich über dem Durchschnitt liegt und zum Jurastudium ausreicht. Der Inbegriff von Arroganz ohne Intellekt. Und John Wayne Gacy ein abstoßender Widerling. Wären die Medien nicht so wild auf möglichst viele Leichen, hätte er nicht eine Zeile verdient. Lustgetriebene Feiglinge ohne den entferntesten Begriff von höherer Ordnung.“

Frauenschwarm Ted Bundy und Killerclown John Wayne Gacy zählen zu den schlimmsten Serienkillern, die Amerika in den letzten 30 Jahren heimgesucht haben. Der von ihnen ausgehende Horror findet weniger in ihrem Body-Count seine Ursache, da gab und gibt es schlimmere, vielmehr ist es die bürgerliche Herkunft, das vermeintlich Normale, das die beiden so außergewöhnlich erscheinen lässt.

Bundy galt als ein höflicher, zuvorkommender Mann – und wurde von Zeitgenossen immer wieder als der „ideale Schwiegersohn“ beschrieben; John Wayne Gacy arbeitete in seiner Freizeit als Kinderclown. Für beide hat der „Chirurg“ in Andrew Vachss’ Titelgeschichte „Born Bad“ nur Verachtung übrig: „Ihr alle werdet mich als geisteskrank einstufen. Weil ihr Angst vor der Wahrheit habt. (…) Ich kann mich darauf verlassen, dass gläubige Feiglinge wie Sie mir zu Hilfe eilen und jedem Gericht lautstark meine ‚Unzurechnungsfähigkeit‘ verkünden werden. Und sollte es doch zu einem anderen Ausgang kommen, wird sich an meiner Situation nichts wesentlich ändern. Ich habe keinerlei Bedürfnis nach Sex und noch weniger nach menschlicher Gesellschaft. Serienkillerchic hat das amerikanische Bewusstsein befallen. Ich werde zu einem Objekt der Faszination werden. Frauen werden mich heiraten wollen. Verleger werden nach meiner Lebensgeschichte schreien. Reiche Schwachköpfe werden meine Gemälde kaufen und ihren Freunden erzählen, sie hätten in meine Seele geblickt. Sie sind nicht meine Nemesis, Doktor, sie sind mein Sicherheitsgurt.“

Nein, als „politically correct“ würden ihn selbst seine Fans nicht beschreiben wollen. Manche nennen ihn „emotionally correct“. Der Mann macht, was ein Mann nun mal machen muss. Wie John Wayne, Clint Eastwood oder Charles Bronson rächt er mit gerechtem Zorn all das Leid, das den Unschuldigen widerfahren ist.

Es wäre lächerlich, wenn es nicht traurig wäre. Andrew Vachss schreibt sich die Seele sauber, und weil er als Anwalt und Aktivist mit dem Spezialgebiet Kindesmisshandlung von sehr realen Dämonen heimgesucht wird, funkelt seine Welt in den dunkelsten Schattierungen eines Mistkäfers. Dass die als Geschichten mühsam verkleidete Realität gleichzeitig die Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung und des Miteinanders vorbetet, macht alles nur noch grimmiger.

Vachss führt das System vor, und das System führt sich vor. In der Konsequenz erschreckend ausweglos, und darin beinah klassischer „Noir“, tragen seine Romane ihr Thema wie ein Mantra. Selbst seine Helden, wenn es dann welche gäbe, wären Paranoiker, Enttäuschte und Gestrandete, die im Graubereich der Legalität leben und handeln.

In einem Interview mit Razorcake.com macht Andrew Vachss klar, dass er nicht nur durch seine Rächer, sondern auch durch Täter wie den „Chirurg“ spricht. Die offenkundige Beziehung zwischen den Opfern von heute und den Täter von morgen beschreibend, sagt er, dass die Menschen immer noch im Irrglauben lebten, „dass ein Ted Bundy oder ein John Wayne Gacy ein genetischer Fehler ist und kein Monster, das gemacht wurde“. Von den 14 Romanen um seinen Antihelden Burke habe ich, ehrlich zugegeben, höchstens die Hälfte gelesen, irgendwann wiederholten sich die Szenarien wie im „richtigen Leben“.

Mit „Born Bad“, einer Sammlung von pointierten Kurzgeschichten nebst einem Theaterstück, zeigt Vachss, dass noch wesentlich mehr in ihm steckt. Beabsichtigt oder nicht, erinnern die Geschichten in ihrer Direktheit und Zuspitzung an frühen Pulp und EC-Comics – das ist Trash mit Stil und Message. Unter den Protagonisten versteckt sich auch schon mal ein braver Killer-Autofahrer oder ein liebenswerter Junkie.

Einmal habe ich sogar gelacht. LARS BRINKMANN

Andrew Vachss: „Born Bad“. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Eichborn, Frankfurt am Main 2002, 219 S., 18,90 €