Von Effi Briest überleben lernen

Finanzkatastrophen und schulklassentaugliches Theater: Am Theater Freiburg läuft es rund mit Theodor Fontane

Ob traurig, ob fröhlich, Effi sitzt oft auf der Schaukel: Zuerst ist Janina Sachau in der Freiburger Inszenierung von „Effi Briest“ ein Schulmädchen im weißen Kleid. Ein modernes, süßes Girlie, kaum so groß wie ihre spätere Tochter. Noch schwingt die Schaukel hoch, Effi überschlägt sich fast voller Übermut – bis sie den steifen Imstetten heiratet und das Unglück beginnt. Was weiter geschieht, gehört zur schulischen Allgemeinbildung: Effi, die doch nur von Leidenschaft, ein bisschen Glamour und der großen Welt träumte, sitzt mit Innstetten (Ullo von Peinen) im finsteren Hohenkremmen fest. Die Bühne verändert sich kaum: Elternhaus, Ehemuff und das spätere Berlin sind dunkelgrün und tiefbraun getäfelt.

Nur als sie den Verführer Major Crampas trifft, tut sich kurzzeitig die hintere Wand auf und gibt den Blick frei auf das Meer von rosa-hellblau beleuchteter Weite, eben jener, nach der sich Effi sehnt. Dort sitzt ein Angler, der in Effis Leben seinen schmutzigen Köder auswirft. Effi ist der Fisch, der schon vorher wie ein Leitmotiv immer wieder aufgetaucht ist, und sie beißt willenlos in den ausgelegten Köder.

Amélie Niermeyer hat ihre „Effi Briest“ in einer Fontane-nahen Textversion wunderbar inszeniert, mit Sinn für Rhythmus, wunderschön schwebender Musik von Cornelius Borgolte und virtuos eingesetzten theatralischen Mitteln. Die verschiedenen Zeit- und Ortsebenen des Romans gleiten gekonnt ineinander und übereinander hinweg: Kaum hat Effi Roswitha von ihrer Schwangerschaft erzählt, ist das Kind auch schon da.

Dennoch bleibt ein leichtes Unbehagen. Vielleicht, weil zu keinem Zeitpunkt klar wird, wo Fontanes Effi uns heute noch betreffen könnte. Das Duell, die absurde Verstoßung durch die Eltern, die dressierte, entfremdete Tochter – all dies erscheint wie ein museales Relikt aus einem fernen Jahrhundert. Berührend, aber in unseren Köpfen bereits als vergangen katalogisiert.

Vielleicht ist dies die Aufgabe von Stadttheater: Schulklassentaugliches Affirmationstheater anzubieten, gut gemacht und ungeheuer erfolgreich – immerhin ist die Besucherauslastung des Theaters seit Niermeyers Amtsantritt von 60 auf 80 Prozent hochgeschnellt – und noch dazu sparsam, greift Niermeyer doch auf ihre Inszenierung von 1998 aus Weimar zurück.

Gespart werden muss in Freiburg ja ohnehin: Wie aus dem Nichts tauchte dem neu angetretenen grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon ein Haushaltsloch von 80 Millionen Euro auf. Der gab es sofort an die Kultur weiter: Bundesweit sind die Sparankündigungen, die in Freiburg kursieren, wohl die härtesten. Schließungen von Museeen und kleinen Kunsthäusern und eine atemberaubende Sparvorgabe für das Theater in das laufende Jahr hinein waren die Folge, auch wenn der Vorgänger-OB noch so großzügig eine halbe Million springen ließ. Ursprünglich sollte das Theater 3 Millionen Euro sparen, mittlerweile sind es nur noch 700.000 Euro, immer noch kaum machbar mit den bereits abgeschlossenen Verträgen.

Niermeyer ist in Freiburg mit einer absurden Situation konfrontiert. Fast wäre man geneigt, ihren Beginn den erfolgreichsten Neustart der Saison nennen, wenn nicht ohnehin schon so viele Superlative auf die „jüngste“ und „hübscheste“ Intendantin der Republik prasseln würden. Tatsächlich hat Niermeyer in Freiburg alles erreicht, was sich eine neue Intendantin nur wünschen kann: gute Presse, ein boomender Jugendclub, strömende Studenten. Nun ist sie auch noch unversehens zur „Symbolfigur des Theaterüberlebenskampfs“ (Zeit) avanciert. Dann war da ja auch noch diese Nibelungenposse: Worms ließ die Aufführung von Moritz Rinkes Nibelungen gerichtlich verbieten. Mittlerweile ist das Spielverbot bis zur Berufungsverhandlung wieder aufgehoben, und wenn es nicht so ernst wäre, könnte man die Querelen auch als Teil einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit begreifen, mit der es Niermeyer in die Zeit, den Spiegel, den Kulturreport und zu 3sat schaffte.

Amélie Niermeyer ist eine gute Intendantin. Wahrscheinlich brauchen die Stadttheater genauso ehrgeizige Kämpferinnen wie sie – und wahrscheinlich brauchen sie letztlich auch ihre etwas zu gefälligen Inszenierungen. DOROTHEA MARCUS