„Über Gats mache ich mir einige Sorgen“

Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) will mehr Wettbewerb unter den Hochschulen – aber unter staatlicher Aufsicht. Er ist nicht grundsätzlich gegen Studiengebühren. Langzeitstudenten will er zur Kasse bitten

taz: Hinter verschlossenen Türen wird gerade bei der WTO über die Liberalisierung von Dienstleistungen verhandelt: General Agreement on Trade in Services. Sehen Sie in einer Liberalisierung von Bildung eine Gefahr oder eine Chance?

Jan-Hendrik Olbertz: Auf Gats bezogen mache ich mir einige Sorgen. Ich bin gegen eine Liberalisierung, die alles dem Selbstlauf des Marktes überlässt. Umgekehrt bin ich für eine gesunde Wettbewerbsebene. Im Zweifelsfall ist es die Aufgabe des Staates, sich im Sinne sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit um Benachteiligte zu kümmern. Dieses Motiv ist von seiner Natur her nicht marktförmig.

Was heißt das?

Der Staat muss weiterhin die Möglichkeit haben, soziale und gesellschaftlich wichtige Ziele zu verfolgen. Gleiche Standards für private und öffentliche Dienstleister, etwa bei Bildungsaufgaben, wie sie das Gats fordert, würden uns in eine schwierige Situation führen.

Wie viel Einfluss haben Sie als Kultusminister überhaupt nach Gats?

Das ist schwer zu justieren. Auf internationalem Podium agiert ja der Bund, der wiederum durch die Verfassung und durch die Bund-Länder-Kommission die Standpunkte der Länder bündelt und dann vertritt. Die Länder sehen das auch überwiegend kritisch. Sie begrüßen die Idee von Wettbewerb, Konkurrenz und Vielfalt. Gleichwohl sagen sie, dass der Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden kann. Er muss Dinge garantieren, die nicht marktförmig, aber für den sozialen, gesellschaftlichen und politischen Fortschritt wichtig sind.

Warum?

Ohne diese Sonderaufgabe würde er sich selbst in Frage stellen. Wenn der Staat aber das eine subventioniert und das andere nicht, wird es aus der Perspektive privater Anbieter ein Wettbewerbsnachteil. Ich stehe diesen Debatten ziemlich kritisch gegenüber und hoffe, zusammen mit den anderen Ländern so weit Einfluss nehmen zu können, dass sich eine vernünftige Synthese zwischen den zwei Konzepten finden lässt.

Was verstehen Sie unter Wettbewerb?

Mehr Nähe zwischen Wirtschaft und Hochschulen kann es Letzteren ermöglichen, ihre enormen Finanzdefizite besser auszugleichen. Und zwar dort, wo sie längst schon Leistungen erbringen, von denen die Wirtschaft profitiert. Dabei darf es aber nicht zu einer Dominanz wirtschaftlicher Interessen kommen. Modernisierung heißt für mich, dass die Hochschulen die Möglichkeit haben, selbst Mittel zu erwirtschaften, gleichzeitig aber Sorge zu tragen, dass sie sich weiter von dem Prinzip Forschung und Lehre leiten lassen – und nicht von Ertrag und Gewinn. Das ist nicht Aufgabe einer Hochschule, sondern eines Wirtschaftsunternehmens.

Studiengebühren sind ein heißes Eisen – aber in Sachsen-Anhalt bis jetzt nicht vorgesehen. Planen Sie da etwas zu ändern, etwa beim Zweitstudium oder den so genannten Langzeitstudenten?

Ich spreche mich ausdrücklich gegen Studiengebühren in grundständigen Studiengängen bis zum erstem berufsqualifizierendem Abschluss aus, sofern dieser annähernd in der Regelstudienzeit erworben wird. Zu allem anderen lege ich mich nicht fest. Fangen wir mit den Langzeitstudenten an. Auf welcher moralischen Grundlage sollte man Langzeitstudenten mit öffentlichen Geldern alimentieren?

Die Studierenden fächern ihr Studium breiter, fahren kein Schmalspurstudium und brauchen deswegen einfach länger.

Das unterstellen Sie a priori allen Langzeitstudenten?

Mir unterstell ich das.

Sind Sie ein Langzeitstudent?

Ich glaube, ich werde mal einer.

Wenn einer 10 oder gar 15 Jahre Student ist, geht es meistens nur um den Status und die Vergünstigungen. Wir sollten offen darüber diskutieren, wie man eine intelligente Beteiligung an den Ausbildungskosten gestalten kann.

Was heißt intelligente Kostenbeteiligung?

Ich finde zum Beispiel dieses Projekt mit den Bildungsgutscheinen nicht schlecht, wie es Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz einführen wollen. Alle Studierenden kriegen eine Art Budget an Wertgutscheinen. Dann könnten sie sagen: Wenn ich es schaffe, zügig zu studieren oder besondere Schwerpunkte zu belegen, erhalte ich zusätzliche Bonuspunkte oder kann mir Bildungsgutscheine für spezielle Vorhaben zurücklegen. Studiere ich – aus welchen Gründen auch immer – wesentlich länger, dann muss ich Gutscheine nachkaufen. Man könnte mit solchen Gutscheinen und Bonuspunkten wie mit einer Währung umgehen: intelligent, also motivierend und hochflexibel. Alles natürlich unter der Voraussetzung jeweils erfolgreich abgeschlossener Examina.

Auch ein Zweitstudium kann also künftig Geld kosten?

Ja, auch das Zweitstudium schließe ich nicht aus. Wobei hier individuell geprüft werden sollte, was einen zu dem Zweitstudium bewegt. Wird es aus persönlichen Interessen begonnen, ist schwer einzusehen, wieso der Staat solche Entscheidungen grundsätzlich alimentieren sollte. INTERVIEW: STEFAN MEY,
BENJAMIN SCHONDORF