Es ist eine fremde und seltsame Welt

Ein Rolls-Royce hat seinen Preis, Dosenbier auch: Im Berliner Kaffee Burger trugen die Macher des Verbrecher-Verlags aus Wirtschaftsmagazinen vor

Auf dem schönen Logo des 1994 gegründeten Verbrecher-Verlags bedroht ein Strichmännchenverbrecher einen Strichmännchenverbrecher-Kunden, wie wir Verbrecher so sagen, mit einer Strichmännchenpistole. Es sieht so aus, als reiße der Verbrecherkunde begeistert seine Hände in die Höhe. Das ist programmatisch zu verstehen, soll aber nicht weiter erläutert werden.

Seit Dezember 1999 veranstaltet der Verbrecher-Verlag jedenfalls regelmäßige, Verbrecherversammlungen genannte Leseaufführungen mit Musik und allem, was dazugehört im Kaffee Burger, jener charmanten Kneipe, die durch Wladimir Kaminers „Russendisko“ weltberühmt wurde.

Die Russendisko gibt es mittlerweile auch auf CD bei Trikont, die Verbrecherversammlungen sind längst eine Berliner Institution, die T-Shirts mit dem Verbrecherlogo sind zurzeit leider vergriffen, und die „Onkel Verbrecher“ genannten Verlagsleiter Werner Labisch und Jörg Sundermeier beschäftigten sich am Dienstagabend mit der deutschen Wirtschaftspresse, nachdem sie zuvor Eso-, Männer- und Frauenmagazine vorgestellt hatten. Es ging also um brand eins, Junge Karriere, Capital, die FAZ und derlei Periodika und darum, was sie so schreiben.

Das Prinzip dieser Zeitungs- und Zeitschriftenschau ist einfach: Werner Labisch und Jörg Sundermeier kaufen sich am Montag die Zeitschriften des zu besprechenden Genres, studieren sie am Dienstag und lesen dann, eher weniger denn mehr kommentierend, am Abend symptomatische Artikel vor.

Wider alle Erwartungen sei die Welt der Wirtschaftspresse eher eng, sagte einleitend Sundermeier. Eigentlich gehe es immer um Deutschland. Er trank dabei ein Berliner Dosenkindl, um launig schnell auf den Artikel einer Not leidenden FAZ-Journalistin zu sprechen zu kommen, in dem diese empört davon erzählte, wie sie sich am Bahnhof Zoo ein Döschen Bier habe kaufen wollen und ein exorbitanter Preis wegen des Zwangspfands verlangt worden sei, den sie, die verarmte FAZ-Journalistin, nicht habe bezahlen können, und wie sie dann beschieden worden sei: „Dann trinken Sie doch Saft.“ Weiter ging’s zum FAZ-feuilletonistischen Revolutions-Manifest von Arnulf Baring, das im Dezember erschien, ein Text, von dem alle reden, den jedoch viele nie gelesen haben und in dem der schöne Satz steht: „Abgesehen von der Sexualität sind bei uns alle Themen tabuisiert.“ Außerdem mahnte Baring die radikale Kürzung der Sozialleistungen sowie die Entmachtung der Gewerkschaften an und forderte die lesenden Bürger zum zivilen Ungehorsam auf.

„Cabinet“ statt American Spirit rauchend ging's dann um Capital und einen witzigen Text, der darüber klagte, dass viele Steuern fällig seien, wenn man einen Rolls-Royce zu seinem Dienstwagen machen möchte. Außerdem sei „Frust kein Konzept“. Stellenanzeigen wurden verlost. Auch brand eins scheint eine optimistische Zeitung zu sein, und die Junge Karriere empfahl Arbeitssuchenden, einfach so, ohne Termin, beim Personalchef vorbeizukommen. Die Reportagen funktionierten ähnlich wie die im ND, mit dem Unterschied nur, dass im ND alle traurig, in der Jungen Karriere alle fröhlich seien. Tragisch dabei, dass die Aussichten der kleineren Wirtschaftszeitungen auch nicht rosig seien. Der Renner des Abends war ein FAZ-Text vom gleichen Tag, der forderte, die Rente nach Kinderzahl zu vergeben und allen Kinderlosen sie um die Hälfte zu kürzen. Fremd, seltsam und beängstigend ist die Welt der Wirtschaftszeitungen.

Demnächst geht's weiter mit der Zeitschriftenschau, und jeden zweiten Mittwoch im Monat findet die Verbrecherversammlung nun auch im Rosenkeller in Jena statt. DETLEF KUHLBRODT