Gelbe Karte für Attac-Chefs

Auf ihrer Bundestagung rügen die Globalisierungskritiker das eigene Führungsgremium. Es hatte sich gemeinsam mit dem DGB zur „Gestaltung“ der Globalisierung bekannt – statt zu ihrer Verhinderung

aus Göttingen YASSIN MUSHARBASH

Es ist eine mühsame Einigung, über die sich Attac-Sprecher Sven Giegold am Samstagabend freuen kann. Der Attac-Ratschlag hat soeben im Konsens, das heißt mit Zustimmung von mehr als 90 Prozent, festgestellt: Der Koordinierungskreis, das Leitungsgremium von Attac, hat einen Fehler gemacht. Er hat gemeinsam mit dem DGB und einem Netzwerk entwicklungspolitischer Organisationen ein Papier unterzeichnet, das die „Gestaltung“ der Globalisierung verlangt. Attac geht aber davon aus, dass die „neoliberale Globalisierung“ noch verhindert werden kann. So steht es in der „Frankfurter Erklärung“ von Attac.

Der Ratschlag beschließt aber zugleich: Die Unterschrift wird nicht zurückgezogen. Stattdessen werden fünf Attac-Vertreter beauftragt, eine Zusatzerklärung zu verfassen. Nur mit dieser Ergänzung soll das DGB-Attac-Papier verwendet werden. „Ich fühle mich wie ein Vegetarier, dem einer eine Kuh geschenkt hat. Dann schicke ich die Kuh zurück und kriege dafür ein kleines Schwein“, findet angesichts dieses Konsens-Kompromisses ein Bremer Attac-Mitglied – und steht damit nicht alleine da.

Die Debatte um das DGB-Papier nahm auf dem siebten „Ratschlag“ des auf 11.000 Mitglieder angewachsenen globalisierungskritischen Netzwerks weit mehr Raum ein als geplant. Am Ende steht eine gelbe Karte für den Koordinierungskreis, der sich künftig hüten wird, ohne Rücksprache irgend etwas zu unterschreiben, und besagte Zusatzerklärung, mit der dann doch alle irgendwie leben können. Selbstfindungsschwierigkeiten einer jungen Organisation.

Einigkeit dagegen beim Thema Irak. Für die Attac-Mitglieder ist klar, dass sie Teil der Friedensbewegung sind: Der Krieg werde allein aus ökonomischen Gründen angestrebt, und deswegen sei er auch ein Attac-Anliegen. In Workshops planen die TeilnehmerInnen Aktionen: Soll man die Einwohner in Großstädten mit Kriegsgeräuschen beschallen, um sie aufzurütteln? Oder eine Delegation in den Irak schicken? 15.000 Plakate für Großdemos werden jedenfalls schon einmal verteilt.

Der Göttinger Ratschlag ist auch Startschuss für die Attac-Friedenstour. Drei Redner werden im Namen von Attac 15 Städte bereisen. In Göttingen haben die Engländerin Yvonne Ridley, der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf und der palästinensische Journalist Said Dudin ihren ersten Auftritt.

Unmut gibt es bei der Rede Ridleys: Sie beginnt ihren Vortrag mit einem Gruß an die „heroischen Kämpfer der Intifada“ und lässt keine Gelegenheit aus, Israels Besatzungspolitik anzuprangern. Über „Bauchschmerzen“ klagen da einige aus dem Plenum: Sie wollen nicht, dass Attac als antiisraelisch gilt. Es gibt Forderungen, Ridley wieder auszuladen, über die aber auf dem Ratschlag nicht mehr entschieden wird.

Viel Raum widmen die Teilnehmer auch der Planung der Attac-Kampagne gegen das GATS-Abkommen, das „General Agreement of Trades in Services“ der Welthandelsorganisation WTO. Dass Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung hinter verschlossenen EU-Türen zu einer Ware degradiert werden sollen, will hier niemand hinnehmen. Die Anti-GATS-Kampagne soll deshalb der Attac-Schwerpunkt 2003 sein. „Es droht der massenhafte Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen“, warnt Koordinator Thomas Fritz.

Am Sonntag verabschiedet der Ratschlag noch eine Resolution gegen Sozialabbau. Trotz Plenumsdebatten und teils effektiver Workshoparbeit steht fest: Ein visionärer Meilenstein wie der letzte Ratschlag in Frankfurt war dieser nicht. Aber ein veritables Arbeitstreffen.