Der Swingerclub als sexualtherapeutische Anstalt

Verständnis für Toleranz

Den Anfang machte Drummie von den Scorpions, ihm folgten Edi, der Gitarrist einer Weddinger Combo, und Klaus vom Modern Jazzquintett. Alle drei hatten irgendwann die Schnauze voll vom Rumtouren und eröffneten Swingerclubs. Zur Sicherheit hatten sie vorher noch das „Zwielicht“ in Augenschein genommen – eine Swingerclubkette mit eigenem Shuttle-Service zwischen den drei rund um die Uhr geöffneten Filialen.

Die Frau hinter der Theke des „Zwielicht 3“ erklärte Drummie, dass auf diese Weise die Geschlechter regelmäßig gerecht verteilt werden. Das hatte er nämlich vor allem befürchtet, dass eine Menge geiler, alter Männer seinen Club frequentieren würde, aber keine Frauen. „Da irrst du dich gewaltig“, versicherte ihm Jutta, Bardame in einem Moabiter Swingerclub. Tatsächlich gebe es sogar viele ältere Frauen, die allein leben oder sich so fühlen und regelmäßig solche Clubs aufsuchen.

„Es stimmt, dass Gerda, Dagmar und Ute beispielsweise keinen Eintritt zahlen und auch sonst alles umsonst haben“, gab Jutta dann jedoch zu, „man könnte sie auch als unsere Lockvögel bezeichnen. Aber es ist ihr Hobby, bei Ute sogar Mission. Sie wird total fuchsig, wenn ein Mann sie zuerst anfasst, alles muss von ihr ausgehen. Und wenn der Mann daraufhin keinen hochkriegt, dann hat er den Elchtest nicht bestanden.“

Auch in Drummies Swingerclub verkehrten dann vier oder fünf Frauen – „ehrenamtlich“, wie er das nannte. Eine, die früher mal Jusofunktionärin war und nun freischaffend ist, meinte sogar: „Wenn man einmal damit angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören.“ Drummie war anfangs noch leicht pikiert, wenn da abends mal wieder fünf Männer halb nackt an der Theke saßen und ganz fickrig wurden, wenn ein Pärchen sich den Whirlpool einlaufen ließ. Die Schnellsten drängten sich gleich mit in die Wanne und versuchten, wenigstens mit dem Fuß ein bisschen zu fummeln, wobei sie sich laufend entschuldigten: „Ich bin das erste Mal da, wie läuft das hier eigentlich ab?!“

Inzwischen ist Drummie jedoch der Meinung, dass nirgendwo so viel miteinander geredet, problematisiert und die Sexualität thematisiert wird wie in den Swingerclubs: „Selbst ganz verschämte Ehepaare – aus Eberswalde, Kyritz oder Bernau – sind in null Komma nix in ernste Gespräche über Eifersucht, Omnipotenzfantasien des Mannes und Rachegelüste der Frau verwickelt. Es ist unglaublich. Das ist die reinste Sexualtherapiestation hier – ich weiß nur noch nicht, ob die Gäste dadurch lockerer oder kaputter werden.“

Manchmal kommen auch Schwule – und zahlen die über hundert Euro Eintritt. Sie wollen sich jedoch gar nicht an halb nackten Heteropärchen aufrichten, sondern hoffen auf halb erregte Heteromänner. „Ob du es glaubst oder nicht“, so Drummie, „die finden tatsächlich fast jedes Mal einen, den sie bequatschen können.“

In fast jedem Swingerclub hängen irgendwo Schaukeln für einen Gangbang: „In einigen verkehren auch Frauen, die da mit dreißig Männern hintereinander ficken, das ist reine Rekordangeberei, bei uns hier ist das aber noch nicht vorgekommen. Eher das Gegenteil, dass Frauen sich von ihrem Mann oder Freund überreden ließen mitzukommen und irgendwann von der Männermeute und auch von ihrem eigenen hier so angeekelt waren, dass sie laut über ‚die ganze Scheißfickerei‘ schimpften.“

Drummies Frau, die aussieht wie Beate Uhse in jungen Jahren, ergänzt: „Es mehren sich aber Geschäftsfrauen im besten Alter, die vielleicht ein paar Läden haben und auch Mitarbeiter, die aber oft einsam sind. Die trinken hier ein paar Sekt und verschwinden mit einem gut aussehenden, jungen Mann. Danach gehen sie dann beschwingt nach Hause – hoffentlich. Aber ich glaub schon, denn einige schauen immer mal wieder rein. Dahinter steckt auch ein zunehmender Hang zur Ruchlosigkeit, besonders wenn die aus dem Osten kommen – dann sind die oft so angepasst, auch äußerlich und in ihren ganzen Wünschen, wie sie leben und so, dass die einfach irgendwann mal was Widersinniges oder Widerständiges tun müssen. Es ist auch irre, wenn die so als gepflegte und gefönte vollschlanke Damen ankommen – und dann hier plötzlich in schwarzer Unterwäsche rumsitzen, Cognac trinken und anzügliche Witze machen. Das ist wie ein Doppelspiel.“

Für die Männer genauso, meint Drummie, obwohl er zugeben muss, dass die Frauen dabei insofern die Oberhand haben, als die Männer an den Zimmern mit Schildern darauf hingewiesen werden: Wenn sie zu aufdringlich werden – fliegen sie.

„Das ist auch schon vorgekommen, aber hauptsächlich deswegen, weil derjenige sich herablassend über die anwesenden Frauen geäußert hat. Das darf nicht sein. Nicht umsonst werben wir auf unserem Anrufbeantworter mit dem ernst gemeinten Hinweis: ‚Wir haben Verständnis für Toleranz!‘.“ HELMUT HÖGE