Zuhören und zuschlagen

Watergate-Aufdecker Bob Woodward porträtiert George W. Bush als geradezu liebenswerten Präsidenten mit großer Führungsstärke – zumal sein Kabinett in der Kriegsfrage heillos zerstritten ist

von ROBERT MISIK

Die Urteile über Amerika und die dort Regierenden sind gespalten. Mal heißt es, Amerika sei das neue Rom, der globale imperiale Hegemon, dessen Präsident sich geriert wie Caesar. Dann wieder: George W. Bush sei einfach ein tölpelhafter Texaner, unfähig, einen geraden Satz zu formulieren, geschweige denn einen Gedanken zu fassen.

Nun, Bush ist kein antiker Diktator, schon gar nicht ein so genialer wie Caesar, doch er ist auch nicht bar aller Fähigkeiten. Wer sich in der amerikanischen Politik durchsetzt und es in der harten Konkurrenz und im gleißenden Scheinwerferlicht bis ins Präsidentenamt schafft, muss schon über überdurchschnittliche Qualifikationen verfügen – muss mit Leidenschaft und Energie sein Ziel verfolgen, gescheite Leute um sich scharen, ihnen zuhören und im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffen können.

Genau so sieht Bob Woodward den Präsidenten in „Bush at War“ (Bush im Krieg), einer 352-Seiten-Hagiographie, die der Washington-Post-Starreporter und einstige Watergate-Aufdecker unlängst vorlegte. Der Titel ist fast irreführend. Das Buch ist kein Großporträt, sondern schildert das Mikromanagement des innersten Machtzirkels um Bush. Detailversessen behandelt es die ersten hundert Tage nach den Anschlägen vom 11. September und während des Krieges in Afghanistan, in großen Linien die darauf folgenden neun Monate.

Es erlaubt einen Blick in die Gedankenwelt des Präsidenten, auf seinen Führungsstil und in Bushs Küchenkabinett. Die wichtigsten Akteure sind: Condoleezza Rice, genannt „Condi“, Nationale Sicherheitsberaterin und engste Vertraute des Präsidenten; Colin Powell, Exmilitär, der als Außenminister die Rolle des bedächtigen, umsichtigen Staatsmannes spielt; CIA-Direktor George Tenet, Herr der Spione und Patron der unkonventionellen Raubeine; Vizepräsident Richard Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dessen Vize Paul Wolfowitz – das Dreigestirn der reaktionären Haudraufs im „War Cabinett“. Und über ihnen Bush, der Zuhörer, der Texaner mit dem richtigen Instinkt, der aus dem Rohmaterial, das die „Prinzipalen“ anschleppen, der aus den sich oft widersprechenden Vorschlägen die großen Linien formt.

Man kann Woodward durchaus vorhalten, dass ihm jeder kritische Impuls fehlt. Doch hat er für seine Darstellung aus Gesprächen mit den Hauptakteuren und fast 100 weiteren Mitarbeitern der Regierung überzeugende Belege zusammengetragen. Der Leser versteht, wie Bush agiert, warum er agiert, wie er agiert – in den Tagen nach dem 11. September 2001, während der Afghanistan-Krise, während der andauernden Irak-Krise, während der September-Tage 2002, als Bush noch einmal den unilateralistischen Furor der Kraftmeier in seiner Regierung bremste und den Vereinten Nationen und den Waffeninspektoren eine Chance gab.

Bushs Stärke ist in gewissem Sinne, dass er die Dinge bisweilen laufen lässt, wobei er auch dann die Kontrolle darüber behält, in welche Richtung nachgedacht werden soll. Ground Zero und das Pentagon rauchten noch, da sagte Bush: „Das ist auch eine Chance. Wir müssen das als eine große Möglichkeit begreifen.“ Die Botschaft war klar: Kein kosmetischer Gegenschlag, er wünsche sich ein großes Design. In den Wochen darauf stellte Bush vor allem Fragen, hörte zu, wie sich seine Paladine stritten. Rumsfeld plädierte damals schon dafür, den „Krieg gegen den Terror“ auszuweiten, sich schnell den Irak vorzuknöpfen, lästerte über den Versuch, Koalitionen mit den bedenklerischen Europäern zu bilden. Wenn Woodwards Darstellung stimmt, dann ist Außenminister Powell im Kabinett einem dauerhaften Beschuss der Falken ausgesetzt, hält dagegen, bringt Einwände vor, unterstützt allenfalls von CIA-Chef Tenet und der immer klugen „Condi“.

Zumindest verbal riss manchen aus Bushs Entourage häufiger die Geduld im Vorfeld des Afghanistan-Feldzuges. Nicht selten geht es bei Regierungssitzungen hemdsärmlig zu, rau ist die Sprache. Bushs Instinkt sagte dem Präsidenten schnell, dass sein Volk nach den Terrorschlägen vom 11. September nach einer Antwort verlange. „Das amerikanische Volk will einen Big Bang“, sagte Bush, und Colin Powell hatte in diesem Moment den Eindruck, der Präsident wolle „endlich jemanden umbringen“.

Bush hält sich dennoch während der Kontroversen seiner Mitarbeiter meist bedeckt. „Great Job“ ist das einzige, was ihm zu den Vorträgen in solchen Phasen der Meinungsbildung entfährt. In der Afghanistan-Causa folgte er letztlich dem Skript Powells, nicht dem der Kriegsfraktion. Ein Dutzend Mal, schreibt Woodward, habe Bush in ihren Gesprächen betont, dass er letztlich „instinktiv“ entscheide, „aus dem Bauch heraus“, wenn alle Optionen auf dem Tisch liegen, alles Für und Wider abgewogen ist.

Auch letzten Sommer, als Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld die Drohkulisse gegen Saddam Hussein mächtig aufgebaut haben, als Krieg nur mehr eine Frage von Wochen und die UNO weitgehend abgemeldet schien, hat sich hinter der Nebelwand offenbar ein regelrechtes Drama abgespielt. Powell bat erstmals um eine persönliche, informelle Unterredung mit Bush. Er wollte verdeutlichen, was es heißt, unilateral zu handeln. „Es ist ja prima zu sagen, wir könnten es allein machen“, gab Powell seinem Präsidenten zu bedenken. „Bloß stimmt es nicht.“ Bush hörte zweieinhalb Stunden zu und bedankte sich. Am Ende entschied er sich für eine neue Sicherheitsrats-Resolution, öffnete eine Chance für neue Waffeninspektionen.

Obwohl Bush lange wartet, bis er eine Entscheidung zwischen den widerstreitenden Optionen trifft, und obwohl er sich bisher immer gegen die rechten Heißsporne entschieden hat, porträtiert ihn Woodward nicht als Zauderer. Im Gegenteil: Bush ermutigt seine Prinzipalen in den Planungsphasen, die riskanten Varianten zu denken. Nach dem einen Jahr, das dem 11. September folgte, habe CIA-Chef Tenet eine „persönliche Lektion gelernt“, schreibt Woodward. Früher habe sich Tenets Behörde vor Risiken gescheut, hatte Angst, Fehler zu machen – und darum im Zweifel nichts getan. Bush habe der CIA einen „neuen Ethos gegeben“.

Ohne Zweifel ist Woodward dem Charme Bushs erlegen. Der Präsident ist für ihn ein sympathischer Mann mit Führungsstärke und ohne Allüren, beratungsfähig wie kaum ein Politiker, ein pragmatischer Charakter, aber mit Überzeugungen. „Überzeugungen, the vision thing, sind wichtig“, sagte ihm Bush während einer ausgedehnten Unterredung auf seiner Farm. „Wir sind nun einmal die Führer der Welt. Und wir müssen zuhören, aber auch handeln können.“

Fast verstörend ist am Ende die Sicht in das Innenleben des Führungszirkels der Hegemonialmacht – und zwar nicht nur, wenn (Vor-)Urteile irritiert werden, mehr fast noch, wenn sie bestätigt werden. Die angeblichen „Herren der Welt“, die über Leben und Sterben zwischen Kabul und Bagdad entscheiden, die die Geschicke der Welt von Washington bis Moskau, von der Beringstraße bis zum Kap der Guten Hoffnung bestimmen, erscheinen bisweilen als etwas schrullige, gehobene Abteilungsleiter blitzsauberer Ministerien von Downtown-Washington, diesem Polit-Raumschiff der westlichen Welt.

Bob Woodward: „Bush at War“, 400 Seiten, Simon & Schuster, New York 2002, ca. 21 €