Letzte Sprittour am Golf

Ruhe vor dem zweiten Wüstensturm: Die Zeitschrift „du“ wirft einen Blick auf Saudi-Arabien und seine ungewisse Zukunft – mit einem Irakkrieg drohen sich die inneren Gegensätze zu verschärfen

von DANIEL BAX

Wie gut, dass unter dem Vatikanstaat kein Öl gefunden wurde: Welche Entwicklung hätte Europa genommen, wenn die katholische Kirche mit Hilfe von Shell, BP und Texaco zur finanzkräftigsten Vormacht des Mittelmeerraums avanciert wäre und zum führenden Sponsor christlich-konservativer Kräfte?

Ein Fluch vielleicht für die islamische Welt, dass ausgerechnet am Persischen Golf die größten Erdölreserven des Planeten lagern, fast zwei Drittel des Gesamtvorkommens. Ein gutes Viertel des globalen Öls sprudelt dabei allein aus dem Boden Saudi-Arabiens und hat das Wüstenreich aus dem geschichtlichen Abseits in den inneren Kreis der wichtigsten Wirtschaftsmächte aufsteigen lassen. Und damit auch zu einem der seltsamsten Länder auf Allahs Erde. Denn der Reichtum hilft, Traditionen künstlich zu konservieren, als seien sie gottgewollt für die Ewigkeit in Quarz gegossen. So gelten die puritanischen Regeln des geistigen Ahnherrn des saudischen Herrscherhauses, Ibn Abd al-Wahhab, bis heute als Staatsdoktrin, obwohl ein umfassender Wohlstand längst für alle materiellen Segnungen der Moderne sorgt. Doch die inneren Widersprüche verschärfen sich, seit Wirtschaftskrise, Bevölkerungswachstum und sogar Arbeitslosigkeit auch Gottes eigenem Land zu schaffen machen.

Das Schweizer Kulturmagazin du wirft in seiner jüngsten Doppelausgabe, am Vorabend des dräuenden Golfkriegs, zweiter Teil, einen Blick hinter die Kulissen aus Hightech und heiligen Stätten. Es ist die erste Ausgabe unter der Ägide des neuen Chefredakteurs Christian Seiler, der aus Österreich vom Nachrichtenmagazin profil kommt. Der 41-jährige Kulturjournalist aus Wien folgt damit Marco Meier, der nach 14 Jahren bei du nun zum Fernsehen wechselt.

Auf verschiedene Weisen bietet das Heft Innenansichten aus einem verschlossenen Land, das zwar alljährlich eine Million Pilger beherbergt, sich sonst aber gegen äußere Einflüsse abschottet: Sehr anschaulich mit der Bilderstrecke des Fotografen Samer Mohdad, die junge Saudis beim Billardspielen zeigt, ihre verhüllten Frauen beim Shoppen, die Siedlungen der Beduinen und den tristen Alltag der Fremdarbeiter aus Bangladesch, Pakistan und dem restlichen Asien. Intim dagegen mit fünf Kurzgeschichten von saudischen Autorinnen, die von Frauenleben in der saudischen Variante erzählen und die allesamt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden sind. Wenngleich weit weniger plakativ als die vielen Bekenntnisbücher über Haremsgeschichten, die es immer wieder in deutsche Bestsellerlisten schaffen, zeichnen auch diese Erzählungen ein kaum tröstlicheres Bild der Geschlechterverhältnisse im Königreich. Bei der sorgfältigen Schilderung weiblicher Leiden geht es ganz offensichtlich darum, den Blick auf die vielfältigen Diskriminierungen zu lenken. Dass die Autorinnen ihre Short Stories gewöhnlich in saudischen Zeitungen veröffentlichen, lässt aber darauf schließen, dass sie damit durchaus auf Resonanz stoßen.

Das Kernstück des Hefts bietet allerdings, aus aktuellem Anlass wohl, ein politisches Dossier. In einem Beitrag etwa geht die Politologin Mai Yamani der Frage nach, woher die Bewunderung so vieler junger Saudis für Bin Laden rührt: Sein Bild schmückt das Display unzähliger Mobiltelefone, wie das eines Popstars. Yamani führt die Identifikation vieler Jugendlicher mit dem saudischen Outlaw zurück auf den Ärger über das geriatrische Herrscherhaus und seine Schutzmacht, die als Strippenzieher im Hintergrund agieren. Zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 25, gut ausgebildet und globalisiert, aber die herrschenden Prinzen sind um die 70 Jahre alt. Übersättigung, Perspektivlosigkeit und sexuelle Frustration werden beim Cruisen auf den breiten Boulevards der Hauptstadt kompensiert, mit aufgedrehter Autoanlage, aus den Seitenfenstern hängend. Die hohen Kosten einer Hochzeit können sich viele junge Männer dagegen nicht mehr leisten, und so bleiben viele unverheiratet.

Weit deprimierender noch ist die Lage der rund eine Million Gastarbeiter, die oft nicht besser als Leibeigene dran sind. Der Rassismus, der vor allem Asiaten und Afrikaner trifft und den der pakistanische Autor und Filmemacher Ziauddin Sardar beschreibt, straft das offizielle Bild eines Islam Lügen, der angeblich keine Kasten und keine ethnischen Unterschiede kennt.

Von diesem moralischen Vorbildcharakter jedoch zehrt Saudi-Arabien, stellt sein religiöser Konservatismus doch neben dem Öl sein wichtigstes Exportgut dar. Über die Finanzierung von Moscheen, Koran-Universitäten, Krankenhäuser und karitativen Einrichtungen und die Ausbildung von Predigern, Professoren und Lehrern üben die Saudis einen beträchtlichen Einfluss in der islamischen Welt aus, von Ägypten bis nach Indonesien. Die USA griffen gerne auf die saudische Ideologie zurück, solange sie im Kampf gegen Kommunismus und Sowjet-Pläne nützlich war. Doch spätestens seit dem 11. September 2001 ist diese Allianz in Frage gestellt.

In Saudi-Arabien selbst gerät das prekäre Gleichgewicht der Kräfte dadurch aus der Balance; Konflikte deuten sich an zwischen herrschender Oligarchie und Geistlichkeit, auf deren Legitimation man aber weiterhin angewiesen bleibt. Schon nach dem letzten Golfkrieg wurden vorsichtige Reformen eingeleitet – ein neuer Shura-Rat soll die vielfältigen Gruppen des Landes repräsentieren. Doch die aktuellen Planspiele der USA für die Zeit nach Saddam drohen die Rolle Saudi-Arabiens in der Region weiter zu gefährden: Was, wenn die Abhängigkeit der USA vom saudischen Öl schwindet – werden sie dann weiterhin ihren treuen Verbündeten am Golf den Rücken stärken? Nach der neuen Dominotheorie amerikanischer Politstrategen soll ein Machtwechsel im Irak ja auch die Nachbarstaaten unter Demokratisierungsdruck setzen. Am Horizont über der arabischen Wüste ziehen dunkle Wolken auf.

„du“, Doppelheft Nr. 732, 16 €