Vignetten bringen Kneipiers in die Bredullje

In Mitte müssen Autofahrer schon seit einem Jahr Parkgebühren zahlen. Die Wirte beklagen sich über weniger Gäste, für die Ladenbesitzer hat sich nichts geändert. Der Einzelhandelsverband befürwortet die Parkraumbewirtschaftung

„Ich parke hier nur ganz kurz, habe mir gar kein Ticket gezogen.“ Sandra B. hat’s eilig, sie will nicht in die Bredullje kommen. Die Politessen können jede Minute auf der Oranienburger Straße auftauchen. „Wenn ich hier einkaufe, komme ich normalerweise mit der Bahn. Wegen der Parkgebühren“, fügt sie hinzu. Es würden viele Strafzettel verteilt, meint auch Brigitte Jäges. Die Inhaberin der Boutique Orangerie hat einen exzellenten Blick auf die Straße. „Die patroullieren hier fünf Mal am Tag. Mindestens.“ Ihrem Geschäft hat die Einführung der Parkzone nicht geschadet. Insgesamt sei die Situation sogar besser, Dauerparken perdu: „Vorher haben viele Inhaber den ganzen Tag vor ihrem Laden geparkt und so den Kunden den Platz weggenommen.“

Auch gegenüber bei Kioskbesitzer Klaus Schlicht hat sich nichts am Umsatz geändert. Er mokiert sich eher über den begrenzten Parkraum. „Unsere Waren mussten wir vorher auch von sonstwo herkarren. Jetzt müssen wir noch dazu die Vignette bezahlen.“ Kurzzeitparkplätze findet er d’accord. Das Problem mit den Lieferungen kennt Ludmilla Ahlburg, Bedienung im Restaurant Astor. „Die Parkzonen fürs Be- und Entladen sind immer voll.“ Gäste kämen nach wie vor, behielten aber beim Essen ihr Auto im Blick.

Am westlichen Ende der Oranienburger Straße kann sich Stephan Falke ebenfalls nicht über fehlende Gäste beklagen. „Aber“, betont der Inhaber der Assel, „ich bin die Ausnahme. Die Einzelhändler hier haben bis zu 50 Prozent weniger Umsatz. Im letzten Jahr haben drei Läden dichtgemacht.“ Für eine pulsierende Metropole seien die Parkgebühren Kappes. Als Anwohner kann er jedoch partu nichts Negatives finden: „Einen Parkplatz gibt’s jetzt immer“.

Streit unter Nachbarn

Für den Automobilclub von Deutschland (AvD) ist gar nichts gebongt. Sprecher Mathias Wieland will sogar von Streit unter Nachbarn gehört haben, die sich um einen freien Parkplatz zofften. Teurere Vignetten fände er schickanös. Die Plätze seien nach wie vor voll, weil es mehr Vignetten als Parkraum gebe. Die Folgen: „Mir ist aufgefallen, dass die Leute brutal in der zweiten Reihe parken, Warnblinker einschalten und dann einkaufen gehen.“

Wer so parkt, geht nicht in aller Ruhe essen. Das merkt auch Toli K., Serviceleiterin des Adebar in der Neuen Schönhauser Straße. „Die Auswirkungen? Ganz schlimm.“ Sie winkt ab. Der Gastraum: fast ratzekahl. „Besonders sonntags beim Brunchbuffet. Die Leute haben keine Zeit mehr, das Essen zu genießen.“ Und dann noch die Sache mit dem Kleingeld: „Jeder dritte will Wechselgeld für den Parkautomaten“, erzählt sie.

Ihr Kollege vom Alcatraz hat ähnliche Probleme. Peter Loth schätzt das Minus auf 30 Prozent. „Wir sind mit dem Preis runtergegangen, um Leute zum Kommen zu animieren.“ Es habe sogar eine Initiative der Restaurantbesitzer gegeben. Mit einer Unterschriftenliste habe man beim Bezirksamt gefordert, die gebührenpflichtige Parkzeit bis 20 Uhr zu begrenzen. „Reaktionen gab’s keine.“

Die Sorgen der Kneipiers werden vom Einzelhandel nicht geteilt. Nils Busch-Petersen, Chef des Berliner Einzelhandelsverbandes, hat im vergangenen Jahr keine Beschwerden bekommen. „Wir sind Befürworter, keine Gegner. Eine Bewirtschaftung der Parkräume ist sinnvoll“, erklärt er. „Sie sind ein knappes Gut. Und wenn wir so Berufspendler und Dauerparker von der Straße bekommen, desto besser für die Kunden.“

Für den Comicladen „Grober Unfug“ sind die Parkgebühren sogar bonfortionös: „Die Polizisten kommen in ihren Pausen immer vorbei“, erzählt Markus Lohse. „Der eine ist mittlerweile Stammkunde.“ ANNE HAEMING