„Unser Staat braucht Verbrecher“

Galina Morosowa, Ehefrau des vorzeitig aus der Haft entlassenen russischen Journalisten Grigori Pasko, über die finsteren und absurden Praktiken des Rechtssystems und die Auswirkungen eines fünfjährigen „Kriegszustandes“ auf ihr Privatleben

Interview BARBARA KERNECK

taz: Ihr Mann hatte als Oberstleutnant und Militärberichterstatter über die illegale Verklappung radioaktiver Abfälle von Atom-U-Booten im Stillen Ozean berichtet. Er gab auch Filme darüber an einen japanischen Fernsehkanal weiter. Wegen „Landesverrats“ wurde er also aufgrund von Handlungen verurteilt, zu denen ihn das russische Umweltschutzgesetz verpflichtet. Dieses verbietet die Geheimhaltung solcher Vorfälle, die der Gesundheit und dem Leben der Bürger schaden. Im St. Petersburger Prozess gegen Alexander Nikitin, der Ähnliches publik machte, erkannte das Gericht nach einigen Jahren diese Rechtslage an.

Galina Morosowa: Diese Absurditäten wären zum Lachen, wenn sie nicht zum Weinen wären. Das geschriebene Gesetz steht bei uns nur auf dem Papier. In Wirklichkeit gibt es in Russland nur ein höchstes Gesetz: das Amtsgeheimnis. Es verschafft Beamten ein Monopol auf den Handel mit Informationen und schützt sie vor der Veröffentlichung von Fakten, die ihnen abträglich sind. So wären der Geheimdienst und die Staatsanwaltschaft per Gesetz eigentlich verpflichtet, beim Militär die Ursachen von Unfällen, Katastrophen und Umweltverschmutzung zu klären. Stattdessen beschäftigen sie sich mit kleinen Diebereien einfacher Soldaten. Sehr selten geraten einmal irgendwelche Generäle vor Gericht. Das ist nur dann der Fall, wenn innerdienstliche Intrigen ausgetragen werden und diese Leue irgendjemandem im Wege stehen. Überhaupt dienen bei uns die Gerichte oft als Austragungsort solcher inneramtlicher Streitigkeiten. Nikitin hatte Glück, als er sich zur Zeit seines Prozesses schon im Ruhestand befand. Deshalb kam er vor ein ziviles, kein Militärgericht.

Ist der Unterschied zwischen einem Zivil- und einem Militärgericht in Russland groß?

Das ist kein Unterschied, sondern ein Abgrund. Ein Militärrichter bekommt bei uns nicht nur sein Gehalt vom Verteidigungsministerium, sondern auch spezifisch militärische Privilegien wie eine große Wohnung oder Sanatoriumsaufenthalte. Der Anruf von einer höher stehenden Dienststelle ist für ihn einfach Befehl.

Im vergangenen Jahr wurden zwei Urteile mit weltweitem Echo von russischen Militärgerichten gesprochen. Die Berufung Ihres Mannes wurde abgelehnt und Oberstleutnant Juri Budanow, der gestand, eine Tschetschenin entführt und erwürgt zu haben, wurde wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht zur Verantwortung gezogen.

So ist das. Unser Staat braucht Helden wie Budanow und Verbrecher wie meinen Mann.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Rechtssicherheit und der Pressefreiheit in Russland in den letzten fünf Jahren?

Wenn man den Worten der Politiker traut, wurde es immer besser, wenn man auf die Realitäten schaut, immer schlechter. Man kann Jelzin vieles vorwerfen, aber in dieser Hinsicht kaum etwas. Seit aber die Vertreter der Geheimdienste bei uns an die Macht gekommen sind, sieht es in beiderlei Hinsicht finster aus.

Ihr Mann hat in der Strafkolonie gesundheitlichen Schaden genommen, leidet unter chronischen Störungen der Verdauungsorgane und Bluthochdruck. Warum hat er kein Gnadengesuch gestellt?

Das hätte seinen Verfolgern einen hübschen Abgang garantiert. Sie hätten all ihre Ziele erreicht. Sie hätte eine unerwünschte Informationsquelle zum Schweigen gebracht und der Staat hätte sich nicht für das viele Geld zu rechtfertigen brauchen, das ihn dieser Prozess gekostet hat. Außerdem wäre ja ein Gnadengesuch meines Mannes einem Schuldbekenntnis gleichgekommen. Deshalb haben verschiedene Leute ihm das geradezu öffentlich aufgedrängt, nicht zuletzt Präsident Putin.

Wie hat sich das Ganze auf Ihre Familie ausgewirkt?

Das hat all unsere persönlichen Pläne zerstört. Ich selbst habe einen neunzehnjährigen Sohn und mit Grigori zusammen einen viereinhalbjährigen Pflegesohn. Wir hatten nicht viel Gelegenheit, uns gemeinsame leibliche Kinder anzuschaffen, denn ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit wurde mein Mann verhaftet. Fünf Jahre haben wir im Kriegszustand mit dem Staat gelebt. Auf seiner Seite ist alles, die Macht und das Geld der Steuerzahler. Ein einfacher Mensch kann dem nichts entgegensetzen als seine Würde und das Wissen, im Recht zu sein. Die Hälfte aller Häftlinge sind Leute, die sich gegen diesen Staat nicht zu verteidigen vermögen. Auf der Basis des Unglücks dieser Menschen machen Beamte Karriere und versuchen, aus dem Staat Steuergelder herauszupumpen.

Was wird Ihr Mann jetzt tun?

Ich glaube, er braucht sich keine Arbeit zu suchen. Die Arbeit wird ihn selbst suchen. Außerdem wird er sich weiter auf gerichtlichem Wege um seine Rehabilitierung bemühen.