Stapel höher, Mann!

Die Nostalgie verlässt dich nie: In der Gaunerkomödie „Catch Me If You Can“ belebt Steven Spielberg die Hollywood-Tradition des Episodenfilms neu. Der rosarote Panther und Goldfinger lassen grüßen

von HARALD PETERS

Dies ist die weitgehend wahre Geschichte von Frank W. Abagnale Jr., einem freundlichen Hochstapler, der sich als später Teenager mittels Scheckbetrug mehrere Millionen beschaffte und sich gegenüber seiner Umwelt erfolgreich als Pilot, Arzt und Anwalt auszugeben verstand.

Dies ist aber auch die Geschichte des bislang vielfach überschätzten Leonardo DiCaprio, der in seinem Hochstaplerberuf des Schauspielers mit der Figur des Frank Abignale Jr. endlich eine Rolle gefunden hat, die ihm tatsächlich liegt. Dies ist überdies die Geschichte von Tom Hanks, der in der Rolle des griesgrämigen FBI-Agenten Carl Hanratty so wenig Tom Hanks sein muss, dass man ihn zunächst kaum erkennt. Dies ist aber vor allem auch die Geschichte von Steven Spielberg, der hier einen weiteren seiner sozusagen erwachseneren Filme abliefert, ohne ihn durch Fingerzeige, Moral und Botschaften unnötig zu beschweren.

Man schreibt die 60er-Jahre. In jener Zeit, in der Stewardessen noch Models sind und Flugkapitäne kühne Abenteurer der Luft, besorgt sich Frank W. Abagnale Jr. eine Uniform und verwandelt sich in einen Piloten der PanAm. Derart ausstaffiert, macht er sich mit etwas Handwerk und viel Charme an sein betrügerisches Werk.

Doch Frank ist nicht an persönlicher Bereicherung gelegen, sondern an der Ehe seiner Eltern, die an akuter wirtschaftlicher Not zerbricht. Jedenfalls wird das von Spielberg als psychologischer Beweggrund angeboten – ein Beweggrund allerdings, den Spielberg in ausgesucht Spielberg-untypischer Weise für keinen wirklich ernst zu nehmenden Beweggrund hält. Stattdessen wird der Film entschlossen leichtherzig erzählt, wie eine 60er-Jahre-Gaunerkomödie, wie ein „Der rosarote Panther“-Film, wie ein früher James Bond, den Spielberg mit einer Szene aus „Goldfinger“ zitiert und anschließend auch noch kopiert.

Die verwendete Farbgebung wie auch die Musik passen in dieser Hinsicht perfekt. Ohne sich an Ort und Zeit zu halten, springt der Film in der Geschichte hin und her, um dabei eine alte Hollywood-Tradition wiederzubeleben, die man wohl in jüngster Zeit vergaß: die Geschichte in der Geschichte, die kleinen Episoden, die man zwar weglassen könnte, ohne der Handlung ernsthaft zu schaden, die den Film als Ganzes aber erheblich bereichern.

„Catch Me If You Can“ ist voll von diesen kleinen Episoden. Unter anderem gibt es die „Frank W. Abagnale Jr. ist James Bond“-Episode, die „Frank W. Abagnale Jr. gibt sich vor seinen Mitschülern als Lehrer aus“-Episode und die „Frank W. Abagnale Jr. trifft ein Callgirl“-Episode. Eine kleine Geschichte zieht sich leitmotivisch durch den Film. Es ist die Geschichte von zwei Mäusen, die in einen Topf Sahne fallen. Die eine Maus ertrinkt sofort, doch die andere strampelt so kräftig, bis die Sahne zu Butter wird und die Maus so den Topf mit sicherem Gang verlässt. Die Geschichte kommt mindesten an drei Stellen vor. Einmal wird sie als Tischgebet erzählt, was den Anwesenden sehr gefällt.

Es ist dabei bemerkenswert, wie glaubwürdig Leonardo DiCaprio in seine Rolle schlüpft. Dem mittlerweile 28-jährigen Darsteller gelingt es, allein durch Körperhaltung und Mimik mal einen 15-Jährigen, einen 19-Jährigen und einen Mittzwanziger darzustellen. Er verpasst seinem Frank W. Abagnale Jr. gleichzeitig mehrere Noten Kühnheit, merkliche Unsicherheit, reichlich Cleverness und viel Naivität. Doch „Catch Me If You Can“ ist keine Ein-Mann-Show, sondern auch ein Film der Schauspielerpaarungen DiCaprio und Walken sowie DiCaprio und Hanks.

Gegenüber Walken (Abagnale Sr.) bringt DiCaprio Ehrfurcht, Mitleid und unterdrückte Überlegenheit zum Ausdruck, während Walken den Vater wie DiCaprios verblasstes Ebenbild gibt – ein Spieler, den das Glück schon lange verließ. Tom Hanks (Hanratty) ist der Anti-Abagnale, der humorlose Beamte, der Abagnale Jr. auf den Fersen bleibt, um den flüchtigen Gesetzesbrecher schließlich zu fangen.

Ein anderer Regisseur hätte sich wohl für Frank W. Abagnale Jr. oder Carl Hanratty entschieden. Er hätte Abagnale als Helden inszeniert und Hanratty als verbissenen Psychopathen. Doch Spielberg lässt Verfolgten wie auch Verfolger gleichermaßen als Sympathieträger dastehen, zwei einsame Menschen, die jedes Jahr zu Weihnachten miteinander telefonieren.

„Catch Me If You Can“. Regie: Steven Spielberg. Mit Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen u. a., 141 Minuten, USA 2002