Der Wille zum Krieg

George W. Bush widmete sich lange innenpolitischen Besänftigungen. Keinen Zweifel ließ er an seiner Kriegsbereitschaft

aus Washington MICHAEL STRECK

So viel vorab: Die diesjährige Rede an die Nation hielt nicht Präsident George W. Bush, sondern sein demokratischer Gegenspieler, der nach altem Ritual anschließend seine Sicht der Dinge dem Fernsehvolk darstellen darf. Der Gouverneur des Bundesstaates Washington, Gary Locke, legte in einer frischen, engagierten Ansprache die Finger auf die Wunden, bündelte die Sorgen der Amerikaner und stellte die unbequemen Fragen, auf die Bush keine Antworten fand. Er mahnte, „nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren, wer unser Land angegriffen hat: al Qaida, nicht Irak“.

Vor einem Jahr hatte Bush den Kampf gegen den Terror zur zentralen Aufgabe erklärt, versprochen, Ussama Bin Laden zu ergreifen und die schlaffe Wirtschaft anzukurbeln. Die Bilanz ist mager. Und immer mehr Amerikaner misstrauen seiner Politik, vor allem in den Bereichen Wirtschaft und nationale Sicherheit. Drei Monate nach dem triumphalen Sieg bei den Kongresswahlen sind Bush und seine Republikaner in der Defensive. Es wurde daher auch keine Rede an die Welt oder eine Kriegsrede. Bushs Motto hieß: „Americans first.“

Die Wunderwaffe, die alle wirtschaftlichen Probleme lösen soll, heißt Steuersenkung. Bush verteidigte sein gigantisches Steuergeschenk an die oberen 5 Prozent der Bevölkerung und mischte einige soziale Programme für die Gesundheitsversorgung dazu, um seiner konservativen Agenda den „menschlichen“ Anstrich zu verleihen. Er entdeckte plötzlich den Klimaschutz und kündigte eine massive Förderung der Hybridtechnologie bei US-Autoherstellern an. Längst sind solche Autos in den USA auf dem Markt, nur eben japanische. Zuweilen wandelte sich seine Rede zu einer Predigt, und Bushs moralisches Sendungsbewusstein flackerte auf, als es darum ging, jegliche Form des Drogenmissbrauchs zu bekämpfen, das Klonen von Menschen zu verbieten, religiöse Gruppen zu unterstützen. Ungewöhnlich lange widmete er sich dem Kampf gegen Aids und versprach, dafür 15 Mrd. Dollar bereitzustellen. Das war der einzige Moment, wo man den „mitfühlenden Konservativen“, als der er sich so gerne porträtiert, in ihm entdeckte. Ansonsten war es eine Rede ohne Glanz.

Erst spät schwenkte Bush zur Außenpolitik. Auch hier war sein Credo moralisch: „Wir wollen die Welt verbessern.“ Ansonsten gab es nicht viel Neues vom Kampf gegen Terror und Schurkenstaaten. Drei Aspekte verdienen jedoch Beachtung. Bush verpflichtete die USA auf ein langfristiges Engagement in Afghanistan und ließ die Bereitschaft zum „Nation-Buildung“ durchblicken. Zudem kündigte er an, dass Außenminister Colin Powell kommende Woche vor dem UN-Sicherheitsrat neue Beweise dafür vorlegen werde, dass Saddam Hussein Waffen versteckt. Auch soll Powell den lange gehegten Verdacht untermauern, dass Bagdad mit al Qaida zusammenarbeitet. Der Präsident bemühte sich, keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass er entschlossen sei, im Irak militärisch einzugreifen, sollte Hussein nicht freiwillig abrüsten. „Der Kurs dieser Nation hängt nicht von den Entscheidungen anderer ab.“

Vielleicht waren es jedoch weniger die Worte, die den deutlichen Unterschied zum vergangenen Jahr bloßlegten. Im Saal und vor den Türen herrschte eine völlig andere Atmosphäre. Während die Republikaner bei jedem Satz mit „tax cut“ euphorisch von den Sitzen sprangen, blieben die Demokraten auffällig oft sitzen und spendeten selten Beifall. Manchmal schüttelten sie nur den Kopf. Vorbei scheint der überparteiliche Schulterschluss nach dem 11. September, der Bushs Ansprache letzten Januar prägte. Der altvertraute Riss tritt wieder zutage. Es gibt erste Anzeichen, dass die Demokraten im Kongress eine neue Entschließung zum Irak beantragen werden, die über die Frage von Krieg oder Frieden entscheiden soll – eine dramatische Wendung, hatten viele doch die erste Resolution vergangenen Herbst mitgetragen, die Bush freie Hand für eine Invasion lässt.

Welchen Eindruck die Worte des Präsidenten in der Bevölkerung hinterließen und ob sie eine Mehrheit von der Notwendigkeit eines Waffengangs gegen Bagdad überzeugen konnten, wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen. Übereinstimmend sind US-Zeitungen der Meinung, dass es am Kriegswillen nun keine Zweifel mehr geben kann. Blitzumfragen wollen herausgefunden haben, dass Bushs Symphatiewerte geklettert sind. Aber das ist immer so am Tag danach.