Tragik mit Süßstoff

Zabou Breitmans Regiedebüt „Claire – Se souvenir des belles choses“

Sich an schöne Dinge zu erinnern ist zwiespältig. Einerseits ist das Gedächtnis eine wunderbare Gabe, um Vergangenes in die Gegenwart zu holen, andererseits ist es ein Fluch, der die Kluft zwischen dem, was war, und dem, was ist, schmerzhaft zu Bewusstsein bringt.

Philippe (Bernard Campan) hat bei einem Autounfall Frau und Kind verloren und zieht es deshalb vor, sich an sein früheres Leben nicht mehr zu erinnern. Als Mann ohne Vergangenheit bedient er in der Kantine der Klinik für Gedächtnisstörungen und kämpft mit den Bestellungen: ein Tee, zwei Wasser, so viel kann er sich gerade noch merken. Dann steht auf einmal Claire (Isabelle Carré) vor ihm. Obwohl erst Anfang 30, leidet sie an beginnenden Anzeichen der Alzheimer-Krankheit. Gemeinsam und doch auf je unterschiedliche Art und Weise erfahren die beiden, wie sehr Lieben und Sich-Erinnern einander bedingen; eine gegenseitige Abhängigkeit, die bereichernde, aber auch bittere Seiten hat.

Das Drehbuch von „Claire – Se souvenir des belles choses“ hat so gesehen etwas Abgezirkeltes, fast Formelhaftes: Während bei Philippe mit der Liebe zu Claire unweigerlich auch die traumatischen Erinnerungen an den Unfall wieder ins Bewusstsein treten, verliert Claire trotz Philippes zärtlicher Fürsorge Zug um Zug das Gedächtnis und damit auch die Liebesfähigkeit. Am Anfang gleicht sie die eigenen Wortfindungsschwierigkeiten durch Erfindungsreichtum aus, was ihrem Auftreten eine liebenswerte Exzentrik verleiht. Gegen Ende machen massive Orientierungsschwächen und Verständigungsprobleme sie zum kleinen, hilflosen Mädchen.

Aber ganz so ernst und melodramatisch, wie das nun klingt, will das Regiedebüt der französischen Schauspielerin Zabou Breitman gar nicht gemeint sein. Die klinische Realität einer Krankheit wie Alzheimer tritt hinter der schönen Plot-Architektur zurück – Claire vergisst zwar Worte, aber keine Gefühle. Zusätzlich verleiht ein Panorama an skurrilen Nebenfiguren der traurigen Geschichte einen komödiantischen Resonanzboden, der die schicksalshafte Tragik zur Melancholie versüßt.

Da gibt es zum einen Claires nervige ältere Schwester, die rechtschaffene Zickigkeit und herben Charme so kombiniert, wie man es von komischen Frauenfiguren aus vielen französischen Filmen kennt. Der Oberarzt gibt sich als Kauz, der schon mal eine Therapeutin mit Dringlichkeit aus einer Sitzung herausrufen lässt, nur um sie dann im eigenen Büro zu küssen; die Sache habe keine Minute länger aufgeschoben werden können. Bei so viel Sinnenfreude wundert es nicht, dass er mit der Liebesbeziehung zwischen seinen Patienten keine Schwierigkeiten hat. Wie überhaupt die Klinik ein Idyll im Grünen zu sein scheint, ein Erholungsheim für Gedächtnisgestresste, auf jeden Fall ein Ort, an dem Claire gerne Zuflucht sucht.

Den Schauspielern verlangt diese Gratwanderung zwischen dem Kauzigen und dem Pathologischen einiges ab. Während Isabelle Carré als Claire sehr bald in der gespielten Hilflosigkeit an charakterlicher Kontur verliert – und wir Philippes Verliebtheit daher immer weniger nachvollziehen können –, bringt Bernard Campan in seiner Figur die schöne und die schmerzliche Seite des Erinnerns immer klarer auf den Punkt: Das eine ist ohne das andere einfach nicht zu haben.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Claire – Se souvenir des belles choses“. Regie: Zabou Breitman. Mit Isabelle Carré u. a. Frankreich 2001, 114 Min.