„Wie im Musical“

Jerry Douglas ist so etwas wie der Erfinder des schwulen Autorenpornos; die Drehbücher zu seinen Filmen können fünfzig Seiten lang sein. Ein Gespäch über kinematografische Visionen, ängstliche Kinobesitzer, die Mafia und Urinale in Damentoiletten

Interview MANFRED HERMES

taz: Mister Douglas, 1972 haben Sie „The Back Row“ gedreht, der heute als ein Klassiker des Schwulenpornos gilt. Wie sind Sie dazu gekommen?

Jerry Douglas: Nach meinem Studium an der Yale School of Drama bin ich 1960 nach New York gegangen, um reich und berühmt zu werden, Oscars und Tonys zu bekommen. Das war 1960. Zwölf Jahre habe ich am Theater gearbeitet. In einigen meiner späteren Stücke traten auch Nackte auf, was damals eine Novität war.

War diese Nacktheit als exploitation und Novität gewollt?

Ich habe in meinen Stücken nie etwas nur aus Ausbeutungsgründen gemacht, die Nacktheit hatte bei mir immer ihre guten Gründe.

War sie da bereits gay related?

Gelegentlich. Man darf nicht vergessen, Nacktheit war damals noch ein Schock. Wir befinden uns aber schon in der Phase von „Deep Throat“, „Behind The Green Door“ und „The Devil In Miss Jones“. Heteropornos stiegen damals in den Massenmarkt auf, auf einmal war Pornografie nicht ganz, aber fast anerkannt. Der Begriff porn chic kam damals auf. 1971 kam dann mit „Boys In The Sand“ einer der ersten schwulen Pornofilme in die Kinos und war ein Riesenerfolg. Der Hauptdarsteller, Casey Donovan, wurde durch diesen Film zum ersten schwulen Pornostar. Von da an war er ein Name, der Tickets verkaufte. Fast wie zu Beginn des Starsystems zu Stummfilmzeiten …

mit Mary Pickford.

Genau, Casey Donovan war die Mary Pickford des Schwulenpornos! (lacht) Casey war nicht nur ein Sweetheart, sondern auch ein guter Freund von mir, wir kannten uns schon vom Broadway.

Er war Schauspieler?

Und zwar ein ganz guter.

Und wie kam es dann zur Herstellung von „The Back Row“?

Ich kannte Casey Donovan, der bereits einschlägige Erfahrung hatte. Ich kannte jemanden, der einen Schwulenporno produzieren wollte, der das Geld hatte und eine Kamera und der dachte, damit wäre viel Geld zu verdienen. Und dann hieß es eben: Lass uns das machen. Das entstand einfach so. Ich vermute, dass mein Talent bei der Arbeit mit Nackten eine Rolle gespielt hat. Ich war zuerst gar nicht so scharf aufs Pornogeschäft – aus Angst, dass ich mir damit jede Chance auf die Fortsetzung einer bürgerlichen Karriere am Theater ruinieren würde. Deswegen habe ich auch nicht unter meinem richtigen Namen gearbeitet, was damals ohnehin niemand tat.

Wie kam die Finanzierung für „The Back Row“ zusammen?

Die Quellen waren nicht sehr respektabel.

Die Mafia?

Ja.

Dieselben Leute, die Heteropornos produziert haben, wollten sich also auch im Schwulenmarkt engagieren?

Hetero oder homo war denen scheißegal. Die ahnten nur, dass es einen Riesenmarkt gab, den sie noch nicht angefasst hatten. Aber es war hart, für eine Industrie zu arbeiten, die weitgehend vom Mob kontrolliert wurde.

Was war da so hart?

Kampf ums Geld, die Kontrolle, die Frage der Raubkopien, die nicht abgerechnet wurden. Du bekamst deine abgenudelte Kopie nach zwei Wochen zurück, inzwischen hatten sie hinter deinem Rücken weitere angefertigt, die sie zwölf oder was weiß ich wie viele Wochen abspielten. Und selbst das Geld, das dir offiziell zustand, hast du nie bekommen. Ich hatte einfach keine Lust, mit gebrochenen Beinen zu enden. Ich habe noch „Both Ways“ gemacht, danach habe ich mich aus dem Geschäft zurückgezogen.

Besitzen Sie die Rechte an „The Back Row“?

Ja.

Der Film hat einen gewissen dokumentarischen Appeal. Man sieht einiges von New York: Washington Square, Port Authority, West Village. Das Ganze spielt in einem Laden für Sexspielzeug und einem Sexkino – also dort, wo die damaligen Zuschauer sich diesen Film höchstwahrscheinlich auch angesehen haben.

In den Siebzigern, als ich noch wild und sehr promisk war, waren Sexkinos mein liebster Jagdgrund. Da lag es nahe, genau das zu zeigen. Es war aber gar nicht einfach, ein Kino zu finden, das uns eine Dreherlaubnis gegeben hätte. Die Betreiber schwuler Kinos haben alle abgewinkt. Also drehten wir in einem Heterokino, obwohl es sonst eine strikte Trennung zwischen hetero und homo gab. Die Männertoiletten waren aber so heruntergekommen, dass wir da unmöglich drehen konnten. Also wechselten wir auf die Damentoilette, mussten dafür aber eigens Urinale mieten und an die Wände kleben.

In dieser Toilette findet dann eine Nummernrevue sexueller Akte statt, die in den Siebzigerjahren sehr herausfordernd gewirkt haben müssen: SM, watersports, Kerzenwachs, man verwendet diverse Toys, und einer der Darsteller hat eine gepiercte Eichel.

Damals gab es diese Spezialisierung von Pornografie noch nicht, wie sie heute besteht. Es gab zwar Nischen-Communitys, aber die hatten noch keinen Niederschlag in der Pornografie gefunden. Mein Film wurde damals als ziemliches Wagnis betrachtet.

Auch sonst ist der Film recht realistisch: Da ist einer, der sieht toll aus, an den kommst du aber nicht ran. Dafür kriegst du drei andere, die nicht so toll sind.

Jeder Typ spricht einen anderen Teil des Publikums an. Man weiß vorher nie, was funktioniert. Also ist es gut, für jeden etwas im Angebot zu haben. Ich habe immer sehr hart daran gearbeitet, dass meine Pornos eine Erzählung, Charaktere und ein Thema haben. Ein glaubwürdiges Drama mit sexueller Direktheit zu mischen, das sollte wie in einem guten Musical sein, im dem sich die Songs natürlich aus der Szene ergeben. Das hatte ich mit Regisseuren wie Fred Halsted und Arthur Bressan („Forbidden Letters“, 1976) gemeinsam – wir glaubten damals tatsächlich daran, dass Pornografie mehr sein könnte als zwei Typen, die sich in einem billigen Hotelzimmer gegenseitig einen runterholen. Wir wollten den Mainstream verschärfen. Ich fühlte mich da immer unabhängig und folgte einer Vision. Das ist wohl, was man einen auteur nennt.

Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die räumliche Nähe zu Kenneth Anger oder Andy Warhol beziehungsweise dem Undergroundfilm?

In den Sechzigerjahren gab es eine ganze Reihe von Einflüssen, von verschiedenen Seiten wurden die Grenzen angegriffen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging das Zug um Zug. Kennen Sie den Begriff „Tihuana Bible“? Das waren pornografische Versionen bekannter Comicstrips wie „Popeye“ oder „Whimpy“ mit Titten und Steifen. Sie waren illegal, bereiteten aber den Boden für die Realpornografie. Im schwulen Bereich gab es etwa die Posingmagazine. Im Lauf der Jahre wurden die Posing Straps kleiner und kleiner. Seit 1964, nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts, war die Darstellung von Genitalien erlaubt. Von da an wurde gefragt: Wie weit darf der Penis aufragen, wann ist es eine Erektion? Softcore konnte halbe Erektionen und simulierten Sex zeigen, Penetration und Orgasmus waren die Kriterien für Hardcore. Aber das ist alles lange her. „The Back Row“ ist Lichtjahre davon entfernt, wo ich jetzt stehe. Ich bin stolz darauf, diesen Film gemacht zu haben, aber jetzt ist er eine Antiquität.

Sie haben danach sechzehn Jahre keine Filme gedreht – was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?

Ich habe als Journalist gearbeitet, Stücke geschrieben. 1989 habe ich das Magazin Manshots gegründet, das sich ausschließlich mit Schwulenpornos befasst, mit Reviews, Interviews, Fotos.

Und dann gab es ein Comeback.

Der erste Mann, den ich überhaupt für das Magazin interviewt habe, war Dirk Yates, der Inhaber von „All Worlds Video“ in San Diego. Er drängte mich, wieder Filme zu machen. Ich hatte einen guten Job in New York, hatte einen Freund, das wollte ich nicht aufgeben, also lehnte ich ab. Aber Yates ließ nicht locker. Okay, sagte ich, ich mache einen Film für dich, aber du musst mir völlige Freiheit einräumen, Tantiemen und den damals bekanntesten Pornostar, Tim Lowe. So entstand 1989 „Fratrimony“, ein Film über zwei Brüder, dann „More Of A Man“ mit Joey Stefano. Seitdem mache ich einen Film pro Jahr, immer nur einen, im Urlaub.

Was hatte sich in der Pornoproduktion inzwischen geändert?

Die entscheidenden drei Dinge: Die Industrie war inzwischen gay owned and operated, und Aids hatte zu einem Boom der Pornografie beigetragen. Die wichtigste Veränderung aber war Video. Video hat nicht nur neue Vertriebsstrukturen hervorgebracht, sondern auch die Produktion stark rationalisiert: kürzere Dreh- und Nachbearbeitungszeiten, direktere Kontrolle des Ergebnisses, weniger Licht, mehr Kameras und so weiter.

Sie schreiben für ihre Filme richtige Drehbücher. Mir lag eines von „Top Secret“ (2000) vor mit immerhin fünfzig Seiten. Ist das in Ihrem Geschäft normal?

Eigentlich nicht. Ich weiß immer ganz genau, was ich will. Da ist es nahe liegend, dass ich das auch festlege. Auch wenn eine Sexszene wie ein Fußballspiel ist … Deshalb nimmt man so viele Kameras, wie man kriegen kann, und schießt die Action von mehreren Seiten.

Inzwischen können Sie auf eine lange Liste von toten Protagonisten zurückblicken, etwa Joey Stefano und Casey Donovan. Finden Sie es nicht merkwürdig, jemanden, der längst verstorben ist, in Pornos immer wieder betrachten zu können?

Charly Chaplin ist auch tot. Hält Sie das davon ab, Chaplin-Filme anzusehen?

MANFRED HERMES, 44, lebt als freier Autor in Berlin